Der Dunkle Turm 4 - Glas
werdet Ihr nicht die einzigen Neuankömmlinge an seinem Tisch sein. Wahrscheinlich sind drei andere anwesend, Männer, die Thorin als private Leibgarde angeheuert hat.«
»Nicht als Hilfssheriffs?«
»Nay, sie sind keinem anderen als Thorin verantwortlich… oder vielleicht Rimer. Ihre Namen sind Jonas, Depape und Reynolds. Für mich sehen sie wie schwere Jungs aus… wenn auch Jonas’ Jugendzeit so lange zurückliegen dürfte, dass er selbst nicht mehr weiß, dass er einmal eine gehabt hat.«
»Dieser Jonas ist der Anführer?«
»Aye. Er hinkt, hat Haar, das ihm hübsch wie das eines Mädchens auf die Schultern fällt, und die zittrige Stimme eines Greises, der seine Tage damit verbringt, den Kaminsims zu polieren. Aber ich glaube dennoch, dass er der Gefährlichste der drei ist. Ich glaube, diese drei haben mehr vergessen, wie es ist, auf den Putz zu hauen, als Ihr und Eure Freunde je lernen werdet.«
Also warum hatte sie ihm das alles erzählt? Sie wusste es nicht genau. Vielleicht aus Dankbarkeit. Er hatte versprochen, diese nächtliche Begegnung für sich zu behalten, und er sah aus wie einer, der seine Versprechen hielt, ob er nun überkreuz mit seinem Vater war oder nicht.
»Ich werde sie im Auge behalten. Und ich danke Euch für den Rat.« Sie erklommen einen langen, sanften Hang. Oben am Himmel funkelte die Alte Mutter unbarmherzig. »Eine Leibgarde«, sagte er nachdenklich. »Eine Leibgarde im verschlafenen kleinen Hambry. Es sind seltsame Zeiten, Susan. Wahrlich seltsam.«
»Aye.« Sie hatte sich auch schon Gedanken wegen Jonas, Depape und Reynolds gemacht, aber keinen guten Grund gefunden, weshalb sie in der Stadt sein sollten. War es Rimers Tun, Rimers Entscheidung gewesen? Das schien wahrscheinlich zu sein – Thorin gehörte nicht zu dem Typ Mann, der auch nur an Leibwächter dachte, hätte sie gesagt, der Hohe Sheriff hatte ihm stets ausgereicht – aber dennoch… warum?
Sie ritten bergauf. Unter ihnen lag eine Ansammlung von Gebäuden – das Dorf Hambry. Nur wenige Lichter brannten noch. Die hellste Stelle kennzeichnete den Traveller’s Rest. Von hier konnten sie mit dem warmen Wind ein Klavier hören, auf dem »Hey Jude« gespielt wurde, wobei eine ganze Anzahl betrunkener Stimmen fröhlich den Refrain massakrierten. Aber nicht die Leute, vor denen sie Will Dearborn gewarnt hatte; die würden an der Bar stehen und den ganzen Raum mit ihren ausdruckslosen Augen beobachten. Die drei gehörten nicht zum Typ Mann, der gern sang. Jeder hatte einen kleinen blauen Sarg auf die rechte Hand tätowiert, in das Häutchen zwischen Daumen und Zeigefinger gebrannt. Sie dachte kurz daran, Will das zu sagen, doch dann machte sie sich klar, dass er es selbst bald sehen würde. Stattdessen zeigte sie ein kleines Stück den Hang hinab zu einem dunklen Umriss, der an einer Kette über der Straße hing. »Seht Ihr das?«
»Ja.« Er gab einen gewaltigen und eher komischen Stoßseufzer von sich. »Ist es der Gegenstand, den ich mehr als jeden anderen fürchte? Ist es der grauenhafte Umriss von Mrs. Beechs Briefkasten?«
»Aye. Und dort müssen wir uns trennen.«
»Wenn Ihr sagt, dass wir müssen, dann müssen wir. Ich wünschte allerdings…« In diesem Augenblick drehte der Wind, wie es im Sommer manchmal vorkam, und eine heftige Bö kam von Westen herangebraust. Der Geruch von Meersalz war binnen eines Augenblicks verschwunden, ebenso das Grölen der trunkenen, singenden Stimmen. An ihre Stelle trat ein unendlich bedrohlicheres Geräusch, das ihr stets kalte Schauer über den Rücken jagte: ein leises, atonales Geräusch, gleich dem Heulton einer Sirene, die von einem Mann gedreht wurde, der nicht mehr lange zu leben hatte.
Will wich einen Schritt zurück, er riss die Augen auf und griff wieder mit den Händen an den Gürtel, als wollte er nach etwas greifen, das nicht da war.
»Was in der Götter Namen ist das?«
»Das ist eine Schwachstelle«, sagte sie leise. »Im Eyebolt Canyon. Habt Ihr nie davon gehört?«
»Davon gehört schon, aber bis eben noch nie eine gehört. Götter, wie könnt Ihr das ertragen? Es hört sich so lebendig an!«
So hatte sie es noch nie gesehen, aber jetzt, als sie gewissermaßen mit seinen Ohren und nicht mit ihren hörte, dachte sie, dass er Recht hatte. Es war, als hätte ein widerlicher Teil der Nacht eine Stimme bekommen und versuchte tatsächlich zu singen.
Sie erschauerte. Rusher spürte den kurzzeitig stärkeren Druck ihrer Knie, wieherte leise und drehte den
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