Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Nun, so sei es.
Susannah, Tochter des Dan, fand, es hätte viel schlimmere geben können.
3
Der Straßenmusikant hatte sich vor einem Café etabliert, das sich Blackstrap Molasses nannte. Sein Gitarrenkasten lag offen vor ihm, und auf dem Futter aus purpurrotem Samt (exakt derselbe Farbton wie der Teppich in Sai Kings Schlafzimmer in Bridgton, sagt amen) lagen ein paar Münzen und Geldscheine verstreut, damit auch irgendein außergewöhnlich unbedarfter Passant wusste, was er zu tun hatte. Er saß auf einem stabilen Holzwürfel, der genau wie der Kasten aussah, auf dem sonst Rev. Harrigan stand, um zu predigen.
Gewisse Anzeichen deuteten darauf hin, dass er demnächst für heute Abend Schluss machen würde. Er hatte seine Jacke mit einem Aufnäher der New York Yankees am Ärmel angezogen und eine Mütze aufgesetzt, über deren Schirm JOHN LENNON LIVES stand. Vor ihm auf dem Gehsteig hatte offenbar ein Schild gestanden, das jetzt aber wieder mit der Textseite nach unten in dem Gitarrenkasten lag. Nicht, dass Mia nicht ohnehin gewusst hätte, was darauf geschrieben stand, nicht sie.
Er sah sie an, lächelte und hörte zu klimpern auf. Sie hielt einen der restlichen Geldscheine hoch und sagte: »Der ist für Sie, wenn Sie diesen Song noch einmal spielen. Diesmal aber mit allen Strophen.«
Der junge Mann schien etwa zwanzig zu sein, und obwohl er mit seinem blassen, fleckigen Teint, dem Goldring in einem Nasenloch und der im Mundwinkel hängenden Zigarette nicht sonderlich attraktiv wirkte, hatte er eine gewinnende Art. Er bekam große Augen, als er erkannte, wessen Gesicht der Geldschein trug, den sie in der Hand hielt. »Lady, für fünfzig Eier würde ich jeden Song von Ralph Stanley spielen, den ich kenne… und ich kenne ziemlich viele.«
»Dieser eine genügt uns schon«, sagte Mia und ließ den Geldschein fallen. Er flatterte in den Gitarrenkasten des Straßenmusikanten hinunter. Der junge Mann beobachtete seinen schwankenden Flug ungläubig. »Schnell«, sagte Mia. Susannah schwieg, aber Mia spürte, dass sie zuhörte. »Ich habe nicht viel Zeit. Spielen Sie.«
Und so begann der auf der Kiste vor dem Café sitzende Gitarrenspieler einen Song zu spielen, den Susannah zum ersten Mal im HUNGRY I gehört hatte, einen Song, den sie selbst auf Gott weiß wie vielen Folkfestivals gesungen hatte, einen Song, den sie einst hinter einem Motel in Oxford, Mississippi, gesungen hatte. In der Nacht, bevor sie alle ins Gefängnis geworfen worden waren, war das gewesen. Damals waren die drei Jungen, die als Bürgerrechtler dafür geworben hatten, sich als Wähler registrieren zu lassen, schon seit fast einem Monat als vermisst gemeldet; sie waren irgendwo im Großraum Philadelphia in der schwarzen Erde Mississippis verscharrt worden (aufgefunden wurden sie zuletzt in der Kleinstadt Longdale, könnt ihr mir ein Halleluja geben, könnt ihr bitte amen sagen). In den Pranken der Rednecks hatte wieder der berüchtigte Weiße Vorschlaghammer zu schwingen begonnen, aber sie hatten trotzdem gesungen. Odetta Holmes – Det, so hatte sie sich damals genannt – hatte diesen speziellen Song angestimmt, und dann waren die anderen eingefallen, wobei die Jungen man und die Mädchen maid gesungen hatten. Im Dogan, der ihr Gulag geworden war, hörte Susannah jetzt entzückt zu, wie dieser junge Mann, der in jenen schrecklichen früheren Tagen noch nicht einmal geboren war, ihn wieder sang. Der Kastendamm ihres Gedächtnisses brach, und es war Mia – auf die Gewalt dieser Erinnerungen unvorbereitet –, die von der Flutwelle fortgetragen wurde.
4
Im Land der Erinnerung ist die Zeit immer das Jetzt. Im Königreich des Vergangenen ticken die Uhren… aber ihre Zeiger bewegen sich nie.
Es gibt eine nichtgefundene Tür
(o verlorene)
und das Gedächtnis ist der Schlüssel, der sie öffnet.
5
Ihre Namen sind Cheney, Goodman, Schwerner; dies sind jene, die am 19. Juni 1964 unter dem Schwung des Weißen Vorschlaghammers fallen.
O Discordia!
6
Ihre Unterkunft ist das Hotel Blue Moon auf der Negerseite von Oxford, Mississippi. Das Blue Moon gehört Lester Bambry, dessen Bruder John der Pastor der Ersten Afroamerikanischen Methodistenkirche von Oxford ist, könnt ihr mir ein Halleluja geben, könnt ihr amen sagen.
Man schreibt den 19. Juli 1964, auf den Tag genau einen Monat nach dem Verschwinden von Cheney, Goodman und Schwerner. Drei Tage nach ihrem Verschwinden irgendwo im Großraum
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