Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Lächeln war sorgenvoll, und er hätte jeder dieser jungen Männer aus dem Land des Vergangenen sein können, die zwischen den herabsackenden rückwärtigen Enden der Blockhäuser des Blue Moon, die kaum mehr als Schuppen waren, und dem zweifach gehämmerten kalten Mondscheinleuchten der Bahngleise sangen; er hätte in seiner Schönheit und der sorglosen Blüte seiner Jugend jeder Beliebige sein können, und in diesem Augenblick liebte Mia ihn. In dieser Leidenschaft erschien ihr selbst ihr kleiner Kerl nebensächlich. Obwohl sie wusste, dass diese Glut in vieler Hinsicht unecht, nur durch Erinnerungen ihrer Wirtin hervorgerufen war, hatte sie den Verdacht, sie könnte in anderer Beziehung echt sein. Eines wusste sie jedoch ganz sicher: Nur ein Wesen wie sie selbst, das Unsterblichkeit besessen und sie aufgegeben hatte, konnte den wahrhaften Mut würdigen, den man brauchte, um Discordias Mächten entgegenzutreten. Diese fragile Schönheit aufs Spiel zu setzen, indem man Überzeugungen über persönliche Sicherheit stellte.
Mach ihn glücklich, nimm es wieder, forderte sie Susannah auf, wollte aber nicht nach vorn kommen, um Susannah dazu zu zwingen. Sie überließ die Wahl ihr.
Bevor Susannah antworten konnte, ging der Alarm im Dogan los und überflutete ihren gemeinsamen Verstand mit Lärm und rotem Licht.
Susannah wandte sich in diese Richtung, aber bevor sie dorthin gehen konnte, umklammerte Mia mit eisernem Griff ihre Schulter.
Was ist los? Was ist passiert?
Lass mich los!
Susannah entwand sich ihr. Und bevor Mia sie wieder fassen konnte, war sie weg.
11
Susannahs Dogan pulsierte, wie spöttisch grinsend, in rotem Paniklicht. Eine Alarmanlage hämmerte eine Audiotätowierung aus den Deckenlautsprechern. Bis auf zwei Bildschirme – der eine zeigte noch den Straßenmusikanten an der Ecke Lex und Sixtieth, der andere das schlafende Baby – waren alle anderen durch Kurzschluss ausgefallen. Der von Spalten durchzogene Boden unter Susannah summte laut und ließ Staubwolken aufsteigen. Eines der Kontrollpulte war dunkel geworden, ein anderes stand in Flammen.
Die Sache sah schlimm aus.
Wie um ihre Einschätzung zu bestätigen, meldete sich die Blaine-artige Stimme des Dogans wieder zu Wort. »WARNUNG!«, rief sie. »SYSTEMÜBERLASTUNG! OHNE DROSSELUNG DER ENERGIEZUFUHR IN SEKTION ALPHA WIRD DAS GESAMTE SYSTEM IN VIERZIG SEKUNDEN ABGESCHALTET!«
Susannah konnte sich von ihren früheren Besuchen im Dogan an keine Sektion Alpha erinnern, war aber nicht überrascht, jetzt ein Schild zu sehen, auf dem genau das stand. Eine der Konsolen darunter explodierte plötzlich in einem fröhlichen orangeroten Funkenregen, der die Sitzfläche eines der Stühle in Brand setzte. Weitere Elemente der Deckenverkleidung krachten herab und zogen ein Gewirr aus Kabeln hinter sich her.
»OHNE DROSSELUNG DER ENERGIEZUFUHR IN SEKTION ALPHA WIRD DAS GESAMTE SYSTEM IN DREISSIG SEKUNDEN ABGESCHALTET!«
Was war mit dem Drehschalter EMOTIONALE TEMP.?
»Lass die Finger davon«, murmelte sie vor sich hin.
Okay, dann KLEINER KERL? Was war mit dem?
Nach kurzem Nachdenken legte Susannah den Kippschalter von SCHLAFEN auf WACHEN um, und die beunruhigenden blauen Augen öffneten sich sofort und schienen mit ungestümer Neugier in Susannahs zu starren.
Rolands Kind, dachte sie mit einer seltsamen und schmerzlichen Mischung aus Gefühlen. Und meines. Und was Mia betrifft? Mädchen, du bist nur eine Ka-Mai. Tut mir Leid für dich.
Ka-Mai, ja. Nicht nur eine Närrin, sondern eine Närrin des Ka – eine Närrin des Schicksals.
»OHNE DROSSELUNG DER ENERGIEZUFUHR IN SEKTION ALPHA WIRD DAS GESAMTE SYSTEM IN FÜNFUNDZWANZIG SEKUNDEN ABGESCHALTET!«
Das Wecken des Babys hatte also nichts genutzt, zumindest nicht in Bezug auf die Verhinderung eines kompletten Systemabsturzes. Zeit für Plan B.
Sie griff nach dem absurden Regler für die WEHENSTÄRKE, der genau wie einst der Temperaturwahlschalter am Backofen ihrer Mutter aussah. Diesen Schalter auf Stufe 2 zurückzudrehen war schwierig gewesen und hatte verdammt wehgetan. Ihn jetzt wieder nach rechts zu drehen war leichter und tat überhaupt nicht weh. Was sie dabei empfand, war eine Entspannung irgendwo tief in ihrem Kopf, als gäbe ein Netzwerk aus Muskeln, das stundenlang angespannt gewesen war, jetzt mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung nach.
Das plärrende Pulsieren der Alarmanlage verstummte.
Susannah drehte den Schalter WEHENSTÄRKE auf Stufe 8 weiter, hielt dort
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