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Der Dunkle Turm 6 - Susannah

Titel: Der Dunkle Turm 6 - Susannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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war.
    Nein, es ist nicht fort, dachte Trudy. Ich habe nur die Fähigkeit verloren, es zu hören, das ist alles. Wenn ich lange genug hier stehen bliebe, würde ich es wieder hören, jede Wette. Mann, das ist verrückt. Ich bin verrückt.
    Glaubte sie das wirklich? Die Wahrheit war, dass sie das nicht tat. Die Welt erschien ihr plötzlich sehr dünn, mehr wie eine Vorstellung als etwas tatsächlich Existierendes, wie etwas kaum Vorhandenes. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben nie weniger realistisch gefühlt. Stattdessen fühlte sie sich weich in den Knien und schwach im Magen und kurz davor, ohnmächtig umzukippen.
     
     
    4
     
    Auf der anderen Seite der Second Avenue lag ein winziger Park. Dort gab es in der Mitte einen Springbrunnen; in seiner Nähe stand die Bronzeskulptur einer Schildkröte, deren Panzer vom Wassernebel des Springbrunnens nass glänzte. Trudy machte sich nichts aus Brunnen oder Skulpturen, aber dort drüben gab es auch eine Parkbank.
    Die Ampel zeigte wieder einmal GEHEN an. Trudy taperte wie eine 83-Jährige statt wie eine 38-Jährige über die Second Avenue und ließ sich auf die Bank fallen. Sie atmete langsam und tief durch und fühlte sich nach ungefähr drei Minuten etwas besser.
    Neben der Bank war ein Abfallkorb montiert, auf dessen Seite in Schablonenschrift HALTET UNSERE ANLAGEN SAUBER stand. Darunter befand sich ein merkwürdiges kleines Graffito in rosa Sprühfarbe: Sieh der SCHILDKRÖTE strahlende Pracht! Trudy sah die Schildkröte, hielt aber nicht sonderlich viel von ihrer Pracht; die Skulptur war eher bescheiden. Und sie sah noch etwas anderes: ein Exemplar der New York Times, das genau so zusammengerollt war, wie sie ihres immer zusammenrollte, wenn sie es noch etwas länger behalten wollte und eine Tragetasche dabeihatte, in der sie es verstauen konnte. Natürlich waren in Manhattan ungefähr eine Million Exemplare der heutigen Times im Umlauf, aber dieses hier war ihres. Das wusste sie schon, bevor sie die Zeitung aus dem Abfallkorb angelte und sich darüber Gewissheit verschaffte, indem sie das Kreuzworträtsel aufschlug, das sie beim Mittagessen größtenteils mit ihrem auffälligen lila Filzschreiber gelöst hatte (dienstags war das Kreuzworträtsel der Times immer kinderleicht).
    Sie steckte die Zeitung wieder in den Abfallkorb und sah über die Second Avenue zu dem Ort hinüber, an dem ihre Vorstellung davon, wie alles funktionierte, sich geändert hatte. Vielleicht für immer.
    Hat mir die Schuhe entwendet. Hat die Straße überquert und hier bei der Schildkröte gesessen und sie angezogen. Hat meine Tragetasche behalten, aber die Times weggeworfen. Was wollte sie mit meiner Tragetasche? Sie hatte keine eigenen Schuhe, die sie hätte hineinstecken können.
    Trudy glaubte, die Antwort zu kennen. Die Frau hatte ihre Teller hineingesteckt. Ein Cop, der deren scharfe Kanten zu Gesicht bekam, hätte sich dafür interessieren können, was man auf Tellern servierte, die einem die Finger abschneiden konnten, wenn man sie falsch anfasste.
    Okay, aber wohin ist sie dann gegangen?
    Drüben an der Ecke First und Forty-sixth stand ein Hotel. Einst war es das U.N. Plaza gewesen. Trudy wusste nicht, wie es jetzt hieß, aber das war ihr auch egal. Sie wollte auch nicht hinübergehen, um zu fragen, ob dort vor ein paar Stunden vielleicht eine schwarze Frau in Jeans und einer fleckigen weißen Bluse hineinspaziert sei. Eine starke Intuition sagte ihr, ihre Version von Jacob Marleys Geist habe genau das getan, aber es war eine Intuition, die sie nicht weiter verfolgen wollte. Es war besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Die Großstadt war voller Schuhe, aber geistige Gesundheit, die eigene geistige Gesundheit…
    Es war besser, nach Hause zu fahren, sich unter die Dusche zu stellen und alles einfach… auf sich beruhen zu lassen. Nur…
    »Irgendwas ist nicht in Ordnung«, sagte sie laut, und ein auf dem Gehsteig vorbeigehender Mann sah sie an. Sie erwiderte trotzig seinen Blick. »Irgendwo ist irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung. Es kann jeden Augenblick…«
    Umkippen war das Wort, das ihr durch den Kopf ging, aber sie wollte es nicht aussprechen. Als könnte das Aussprechen bewirken, dass aus dem Kippen ein Stürzen wurde.
    Für Trudy Damascus sollte es ein Sommer voller schlechter Träume werden. Einige handelten von der Frau, die erst auftauchte und dann wuchs. Sie waren schlimm, aber nicht die schlimmsten. In den schlimmsten Träumen war es um sie herum finster, und ein

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