Der Dunkle Turm 6 - Susannah
restlichen Balken ganz allein zerstören kann!« Aus ihrer Stimme sprach Stolz, der gefährlich nahe an Wahnsinn grenzte. »Mein Mordred! Hast du verstanden?«
»O ja«, sagte Susannah, »ich verstehe. Und du willst wirklich zu denen hineilen, die es darauf anlegen, den Turm zu Fall zu bringen, nicht wahr? Sie rufen, du kommst.« Sie hielt kurz inne, dann schloss sie mit absichtlich sanfter Stimme: »Und wenn du zu ihnen gehst, nehmen sie dir deinen kleinen Kerl weg und bedanken sich bei dir und schicken dich dann in die Suppe zurück, aus der du gekommen bist.«
»Nay! Ich darf ihn aufziehen, das haben sie mir versprochen!« Mia verschränkte schützend die Arme über dem Bauch. »Er gehört mir, ich bin seine Mutter, und ich darf ihn aufziehen!«
»Sei doch realistisch, Mädchen! Glaubst du etwa, dass sie wirklich Wort halten werden? Die? Wie kannst du so viel sehen, aber das nicht erkennen?«
Susannah kannte natürlich die Antwort darauf. Die Mutterschaft selbst hatte Mia irregeführt.
»Warum sollen sie ihn nicht von mir aufziehen lassen?«, fragte Mia schrill. »Wer wäre dafür besser geeignet? Wer besser als Mia, die nur für zwei Dinge geschaffen ist: einen Sohn zu gebären und ihn aufzuziehen?«
»Aber du bist nicht nur du«, sagte Susannah. »Du bist wie die Kinder der Calla und praktisch alles andere, dem meine Freunde und ich unterwegs begegnet sind. Du bist ein Zwilling, Mia! Ich bin deine andere Hälfte, ohne die du nicht leben könntest. Du siehst die Welt durch meine Augen und atmest mit meiner Lunge. Den kleinen Kerl musste ja auch ich austragen, weil du es nicht konntest, oder nicht? Du bist so unfruchtbar wie die großen Dämonen. Und sobald sie dein Kind, ihre Atombombe von einem Brecher, in den Händen haben, beseitigen sie dich – und sei’s nur, um mich beseitigen zu können.«
»Ich habe ihr Versprechen«, murmelte Mia. Ihr Blick war niedergeschlagen, ihr Gesicht in seiner Eigensinnigkeit verhärtet.
»Sieh die Sache einmal umgekehrt«, sagte Susannah. »Sieh sie umgekehrt, ich bitte dich. Stell dir vor, unsere Rollen wären vertauscht – was würdest du denken, wenn ich dir mit solch einem Versprechen käme?«
»Ich würde dich auffordern, mit diesem Geschwätz aufzuhören!«
»Wer bist du wirklich? Wie zum Teufel haben sie dich gefunden? Hast du dich auf eine Anzeige gemeldet, in der es hieß: ›Ersatzmutter gesucht, gute Sozialleistungen, kurze Vertragsdauer‹? Wer bist du wirklich?«
»Halt die Klappe!«
Susannah beugte sich auf den Beinstümpfen nach vorn. Im Allgemeinen war diese Haltung äußerst unbequem für sie, aber sie hatte die Unbequemlichkeit ebenso vergessen wie die halb aufgegessene Kermesbeere, die sie in ihrer Hand hielt.
»Komm schon!«, sagte sie, wobei ihre Stimme den heiseren Ton Detta Walkers annahm. »Komm schon, nimm deine Augenbinde ab, Schätzchen, genau wie du mich dazu gezwungen hast, meine abzunehmen. Sag die Wahrheit und spuck dem Teufel ins Auge! Wer bist du, verdammt noch mal?«
»Ich weiß es nicht!«, kreischte Mia, und die unter ihnen zwischen den Felsen versteckten Schakale kreischten ebenfalls, nur dass ihr Kreischen ein Lachen war. »Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, wer ich bin, genügt dir das nicht?«
Es genügte nicht; Susannah wollte gerade nachfassen, wollte mehr Druck ausüben, da meldete sich Detta Walker zu Wort.
5
Hier nun, was Susannahs anderer Dämon ihr erzählte:
»Babydoll, mir kommt’s vor, als müsstest du ‘n bisschen über die Sache nachdenken. Sie kann’s nich, sie is strohdumm, kann nich lesen, kennt bloß ‘n paar Zahlen, war nich in Morehouse, war in gar keim Haus, aber du warst dort, Miss Oh-Detta Holmes, du warst in Co-lum-bie-ja, la-di-dah, der Perle des Ozeans, o wie fürnehm!
Vor allem musst du darüber nachdenken, wie’s kommt, dass sie schwanger is. Sie sagt, dass sie Rolands Samen geraubt, sich dann in ein männliches Wesen, den Dämon des Rings, verwandelt und ihn in dich reingespritzt hat, und dann hast du das Kind ausgetragen, hast all das eklige Zeug, das du auf ihren Befehl essen musstest, in dich reingestopft, sodass sich die Frage stellt, welche Rolle sie jetzt in der ganzn Chose spielt – das würde Detta mal interessiern. Wie kommt’s, dass sie dort schwanger unter ihrer Mexikanerdecke hockt? Ist das wieder ‘n Beispiel für diese… wie nennst du sie gleich… Visualisierungstechnik?«
Susannah hatte keine Ahnung. Sie wusste nur, dass Mia sie mit plötzlich
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