Der Dunkle Turm 6 - Susannah
MICH BESUCHEN! BRINGEN SIE WAFFEN MIT!«
Eddie hob langsam den Kopf. Tränen der Wut liefen ihm übers Gesicht. Tower, dessen Augen in seinem runden Gesicht riesig und feucht waren, war bis an die Wand neben der Tür zurückgewichen. Auf der Stirn standen ihm Schweißperlen. Die Tragetasche mit den jüngst erstandenen Büchern hielt er wie einen Schild an die Brust gedrückt.
Eddie betrachtete ihn unverwandt. Zwischen seinen zusammengepressten Händen tropfte Blut hervor; der blutige Flecken am Hemdärmel vergrößerte sich noch mehr; und nun lief ihm auch aus dem linken Mundwinkel ein dünner Blutfaden. Irgendwie glaubte er jetzt auch, den Grund für Rolands Schweigen zu verstehen. Das hier war Eddie Deans Aufgabe. Weil er Tower in- und auswendig kannte, nicht wahr? Ihn sehr wohl kannte. Hatte er einst, in einer noch gar nicht so lange zurückliegenden Zeit, nicht geglaubt, im Vergleich zu Heroin sei alles auf der Welt blass und unwichtig? Hatte er nicht auch geglaubt, außer Heroin sei alles auf der Welt zum Tausch oder Verkauf bestimmt? Hatte er nicht den Punkt erreicht, an dem er buchstäblich als Zuhälter die eigene Mutter angeboten hätte, um den nächsten Fix zu bekommen? War das nicht der eigentliche Grund für seinen Zorn?
»Dieses unbebaute Grundstück an der Ecke Second Avenue und Forty-sixth Street hat niemals Ihnen gehört«, sagte Eddie. »Auch nicht Ihrem Vater oder dessen Vater – bis zu Stefan Toren zurück. Ihr wart alle nur Treuhänder, genau wie ich die Waffe, die ich hier trage, nur treuhänderisch verwahre.«
»Diese Behauptung bestreite ich!«
»Willst du das wirklich?«, sagte Aaron. »Wie merkwürdig! Dabei habe ich selbst gehört, wie du von dem Stück Land mit fast den gleichen Worten gesprochen hast. Und…«
»Aaron, halt die Klappe!«
»… das sogar viele Male«, beendete Deepneau den Satz ruhig.
Ein leiser Knall ließ Eddie zusammenzucken und schickte erneut pochende Schmerzen aus dem verwundeten Bein nach oben. Es war nur ein Streichholz gewesen. Roland zündete sich gerade eine neue Zigarette an. Das Filterstück lag neben den beiden anderen auf der Wachstuchdecke des Küchentischs. Sie sahen wie kleine Pillen aus.
»Sie haben mir Folgendes erzählt, Cal«, sagte Eddie und fühlte sich plötzlich wieder ganz ruhig. Der Zorn war wie aus einem Schlangenbiss gesaugtes Gift aus ihm gewichen. Roland hatte ihm Gelegenheit gegeben, sich davon zu befreien, und trotz der blutenden Zunge und den blutigen Handflächen war Eddie ihm dafür dankbar.
»Was ich auch gesagt haben mag… ich habe unter Stress gestanden… Ich hatte Angst, Sie würden mich erschießen!«
»Sie haben gesagt, dass der Umschlag, den Sie in der Hand hielten, vom März 1846 datiere. Sie haben gesagt, er enthalte ein Stück Papier, auf dem ein Name stehe. Sie haben gesagt…«
»Ich bestreite…«
»Sie haben gesagt, wenn ich Ihnen den Namen sagen kann, der auf diesem Zettel steht, würden Sie mir das Grundstück verkaufen. Für einen Dollar. Und mit der Maßgabe, dass Sie zwischen heute und… sagen wir 1985 noch viel mehr – Millionen – bekommen werden.«
Tower lachte bellend. »Warum bieten Sie mir nicht gleich auch noch die Brooklyn Bridge an, wenn Sie schon mal dabei sind?«
»Sie haben ein Versprechen abgegeben. Und jetzt beobachtet Ihr Vater Sie dabei, wie Sie es brechen wollen.«
»ICH LEUGNE JEDES WORT, DAS SIE SAGEN!«, kreischte Calvin Tower.
»Leugnen Sie’s und gehen Sie zum Teufel«, sagte Eddie. »Und jetzt will ich Ihnen was verraten, Cal, etwas, was ich aus meinem mitgenommenen, aber noch schlagenden Herzen weiß. Sie essen ein bitteres Mahl. Das wissen Sie nur nicht, weil Ihnen nämlich jemand erzählt hat, es sei süß, und Ihre Geschmacksknospen taub sind.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden! Sie sind verrückt!«
»Nein«, sagte Aaron, »das ist er nicht. Du bist verrückt, wenn du nicht auf ihn hörst. Ich glaube… ich glaube, er gibt dir eine letzte Chance, deinen Lebenszweck wieder ins rechte Lot zu rücken.«
»Nehmen Sie Vernunft an«, sagte Eddie. »Hören Sie ausnahmsweise auf den besseren Engel statt auf den anderen. Der andere hasst Sie, Cal. Er will nur Ihren Tod. Glauben Sie mir, das weiß ich bestimmt.«
Schweigen im Blockhaus. Vom Teich kam der Ruf eines Seetauchers. Aus der Ferne drang ein weniger melodisches Sirenengeheul.
Calvin Tower fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Sagen Sie da die Wahrheit, was Andolini betrifft? Ist er wirklich
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