Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
leibhaftigen Revolvermann vor sich zu sehen.
Ted wandte sich ruckartig von Jake ab und wieder Roland zu. »Und nun seht dort hinüber«, sagte er.
»Aber hallo!«, rief Eddie. »Was zum Teufel …?«
Susannah war amüsiert und verblüfft zugleich. Worauf Ted zeigte, erinnerte sie an Cecil B. DeMilles Bibelepos Die zehn Gebote, vor allem an die Filmszenen, in denen das von Moses geteilte Rote Meer verdächtig wie Wackelpudding ausgesehen und die Stimme Gottes aus dem brennenden Busch ziemlich nach Charles Laughton geklungen hatte. Trotzdem war es erstaunlich. Jedenfalls auf eine Weise, die an billige Hollywood-Spezialeffekte erinnerte.
Sie sahen einen einzelnen dicken und prachtvollen Sonnenstrahl, der schräg durch ein Loch aus den tief hängenden grauen Wolken schien. Er zerschnitt die seltsam dunkle Luft wie der Strahl eines Suchscheinwerfers und beleuchtete einen Komplex, der ungefähr sechs Meilen vom Bahnhof Donnerschlag entfernt zu liegen schien. Und »ungefähr sechs Meilen« war tatsächlich alles, was man darüber sagen konnte, weil es auf dieser Welt keinen Norden oder Süden mehr gab, wenigstens nicht in verlässlicher Form. Hier gab es nur noch den Pfad des Balkens.
»Dinky, ich habe ein Fernglas in der …«
»In der unteren Höhle, stimmt’s?«
»Nein, ich habe es letztes Mal mit raufgebracht«, antwortete Ted, der sorgsam um Geduld bemüht zu sein schien. »Es liegt auf dem Kistenstapel gleich am Eingang. Bitte hol es mir.«
Eddie nahm diese Nebenhandlung kaum wahr. Er war zu verzaubert (und amüsiert) von diesem einzigen breiten Sonnenstrahl, der ein grünes und heiteres Stück Land beleuchtete, das in dieser dunklen, sterilen Wüste so unwahrscheinlich wirkte wie … wie … nun, bestimmt so unwahrscheinlich, wie der Central Park auf Touristen aus dem Mittelwesten wirken musste, die zum ersten Mal in New York waren.
Er konnte Gebäude sehen, die an Studentenwohnheime erinnerten – freundliche Wohnheime –, und andere, die wie behagliche alte Landhäuser mit großen gepflegten Rasenflächen davor aussahen. Im rückwärtigen Bereich der von dem Sonnenstrahl erhellten Fläche lag augenscheinlich eine Straße mit Geschäften entlang einer Ladenhauptstraße. Ein typisch amerikanisches Dorf – bis auf die Tatsache, dass es auf allen Seiten von dunkler, felsiger Wüste umgeben war. Eddie sah vier Steintürme, deren Flanken hübsch mit Efeu bewachsen waren. Nein, es waren sechs. Die beiden anderen standen größtenteils hinter prachtvollen alten Ulmen verborgen. Ulmen in der Wüste!
Dinky kam mit einem Fernglas zurück und bot es Roland an, der stumm den Kopf schüttelte.
»Nichts für ungut«, sagte Eddie. »Seine Augen … na, die sind einfach überirdisch gut. Ich für meinen Teil würde allerdings gern mal durchsehen.«
»Ich auch«, sagte Susannah.
Eddie reichte das Fernglas an sie weiter. »Ladies first.«
»Nein, wirklich, ich …«
»Schluss jetzt!«, Ted fauchte beinahe. »Unsere Zeit hier ist beschränkt, unser Risiko gewaltig hoch. Vergeudet nicht die eine und erhöht nicht das andere, wenn ich bitten darf.«
Susannah fühlte sich verletzt, verzichtete aber darauf, ihm herauszugeben. Stattdessen nahm sie das Fernglas, hob es an die Augen und stellte es scharf. Was sie sah, verstärkte ihren Eindruck noch, einen kleinen, aber perfekten College-Campus zu betrachten, der wunderbar mit dem benachbarten Dorf verschmolz. Ich wette, dort unten gibt’s keine Spannungen zwischen Bürgerschaft und Akademikern, dachte sie. Ich wette, Ulmendorf und die Brecher-Universität passen zusammen wie Griesbrei und Apfelmus, Abbott und Costello, Hand und Handschuh. Wenn die Saturday Evening Post eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury brachte, las sie die immer als Erstes, sie verehrte Bradbury, und was sie hier durchs Fernglas sah, erinnerte sie an Greentown, Bradburys idealisiertes Dorf in Illinois. Ein Ort, in dem die Erwachsenen in Schaukelstühlen auf ihren Veranden saßen und Limonade tranken, während die Kinder in der von Glühwürmchen punktierten Dämmerung von Sommerabenden mit Taschenlampen Fangen spielten. Und der benachbarte College-Campus? Dort wurde nicht getrunken, zumindest nicht im Übermaß. Es gab auch keine Opiumpfeifen oder Amphetamine oder Kokain. Es war ein Ort, an dem die Mädchen die Jungen zum Abschied mit keuscher Leidenschaft küssten und dann froh waren, sich wieder eintragen zu können, damit die Wohnheimaufseherin nicht schlecht von ihnen dachte. Ein Ort, an dem den
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