Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
würde wahrscheinlich dem Algul Siento gelten. Was gab es auch schon groß anderes? Um mit den Worten einer großen Amerikanerin, und zwar Martha Reeves von Martha and the Vandellas, zu sprechen: Nowhere to run, baby, nowhere to hide. Die Dinge waren außer Kontrolle, rasten ohne Bremsen bergab, und man konnte nicht mehr tun, als die Fahrt zu genießen.
»Möchtest du etwas Gesellschaft, während du deine Runde drehst?«, fragte Pimli.
»Warum nicht?«, antwortete das Wiesel. Finli grinste und ließ dabei eine Schnauze voller nadelspitzer Zähne sehen. Dann sang er mit seiner eigenartig schwankenden Stimme: »›Dream along with me … I’m on my way to the moon of my fa-aathers …‹«
»Lass mir noch einen Augenblick Zeit«, sagte Pimli und stand auf.
»Du willst beten?«, fragte Finli.
Pimli blieb an der Tür stehen. »Ja«, sagte er. »Wenn du schon danach fragst. Irgendein Kommentar, Finli o’ Tego?«
»Möglicherweise eine Frage.« Das Wesen mit dem Menschenkörper und dem schmalen braunen Wieselkopf lächelte weiter. »Wenn Gebete so etwas Erhabenes sind, weshalb kniest du dann in demselben Raum nieder, in dem du auch sitzt, um zu scheißen?«
»Weil die Bibel uns rät, sich zum Gebet zurückzuziehen, wenn man in Gesellschaft ist. Noch Kommentare?«
»Nay, nay.« Finli machte eine wegwerfende Handbewegung. »Tu dein Bestes und dein Schlimmstes, wie die Manni sagen.«
3
Auf der Toilette klappte Paul o’ Rahway den Klodeckel herunter, kniete auf den Fliesen nieder und faltete die Hände.
Wenn Gebete so etwas Erhabenes sind, warum kniest du dann in demselben Raum nieder, in dem du sitzt, um zu scheißen?
Vielleicht hätte ich sagen sollen, weil mir das die Demut erhält, dachte er. Weil es mich auf die richtige Größe zurechtstutzt. Es ist Dreck, aus dem wir kommen, und es ist Dreck, zu dem wir wieder werden, und wenn es einen Ort gibt, an dem man das unmöglich vergessen kann, dann ist es dieser hier.
»Gott«, sagte er, »schenk mir Kraft, wenn ich schwach bin, Antworten, wenn ich im Zweifel bin, Mut, wenn ich ängstlich bin. Hilf mir, niemanden zu verletzen, der’s nicht verdient hat, und selbst dann nur, wenn er mir keine andere Wahl lässt. Herr …«
Und während er vor dem heruntergeklappten Klodeckel auf den Knien liegt, dieser Mann, der seinen Gott nun bald bitten wird, ihm zu vergeben, dass er aufs Ende der Schöpfung hinarbeite (und das nicht im Geringsten ironisch gemeint), könnten wir die Gelegenheit nutzen, um ihn etwas näher zu betrachten. Wir werden das aber nicht zu ausführlich tun, weil Pimli Prentiss in unserer Erzählung von Roland und seinem Ka-Tet keine Hauptrolle spielt. Trotzdem ist er ein faszinierender Mann, voller Kanten und Widersprüche und Sackgassen. Er ist ein Alkoholiker, der zutiefst an einen persönlichen Gott glaubt, ein mitfühlender Mann, der jetzt kurz davor steht, den Turm zum Einsturz zu bringen und die Trillionen von Welten, die sich um dessen Achse drehen, ins Dunkel einer Trillion verschiedener Richtungen zu schleudern. Er würde Dinky Earnshaw und Stanley Ruiz sofort liquidieren, wenn er wüsste, was sie getrieben haben … während er gleichzeitig den größten Teil jedes Muttertags in Tränen verbringt, hat er doch seine eigene Mama so sehr geliebt, dass er sie bitterlich vermisst. In Sachen Apokalypse ist er genau der richtige Mann für den Job – einer, der weiß, wie man zum Gebet niederkniet, und mit dem Herrn der himmlischen Heerscharen reden kann wie mit einem alten Freund.
Und hier eine Ironie der Geschichte: Paul Prentiss könnte glatt aus einer dieser Anzeigen stammen, die »Ich habe meinen Job durch die New York Times bekommen!« verkünden. Im Jahr 1970, als er seine Arbeit in dem damals als Attica bekannten Gefängnis verloren hatte (wenigstens verpassten Nelson Rockefeller und er so die gewaltigen Häftlingsunruhen), entdeckte er in der Times eine Anzeige mit folgendem Text:
GESUCHT: ERFAHRENER STRAFVOLLZUGSBEAMTER
FÜR SEHR VERANTWORTLICHE POSITION
IN PRIVATER EINRICHTUNG
Hohes Gehalt! Erstklassige Sozialleistungen!
Reisebereitschaft wird vorausgesetzt!
Das hohe Gehalt hatte sich als etwas erwiesen, was seine geliebte Mutter eine »reinrassige, komplette Lüge« genannt hätte, weil es nämlich überhaupt kein Gehalt gab, jedenfalls nicht in dem Sinn, den ein Strafvollzugsbeamter auf der Amerika-Seite verstanden hätte, aber die Sozialleistungen … ja, die Zusatzleistungen waren außergewöhnlich.
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