Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Anfangs hatte er sich in Sex gesuhlt, und jetzt suhlte er sich in Schnaps und Essen, aber darauf kam es nicht an. Der springende Punkt, fand Sai Prentiss, war Folgendes: Was wollte man im Leben erreichen? Wollte jemand nicht mehr als nur zusehen, wie die Nullen auf seinem Bankkonto sich vermehrten, war er im Algul Siento eindeutig fehl am Platz … was schrecklich wäre, sobald man nämlich unterschrieben hatte, gab es kein Zurück mehr; hier gab es nur das Korps. Und das Korps. Und gelegentlich, wenn wieder ein Exempel statuiert werden musste, eine oder zwei Leichen.
Womit dieser Mann hundertprozentig einverstanden war: Oberaufseher Prentiss, der vor etwa zwölf Jahren in einer feierlichen Taheen-Zeremonie seinen Namen geändert und das nie bereut hatte. Aus Paul Prentiss war Pimli Prentiss geworden. An diesem Punkt hatte er sich nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen von dem abgewandt, was er jetzt nur noch »die Amerika-Seite« nannte. Und das nicht etwa, weil es hier den besten Alaska-Lachs und den besten Champagner seines Lebens gab. Auch nicht, weil er hier Sex mit hunderten von schönen Frauen gehabt hatte. Sondern weil das hier sein Job war, einer, den er unter allen Umständen zu Ende führen würde. Weil er zu der Überzeugung gelangt war, dass ihre Arbeit hier im Devar-Toi Gottes Sache war, nicht nur die des Scharlachroten Königs. Und hinter der Gottesidee stand etwas noch Gewaltigeres: die Vorstellung von einer Milliarde Universen in einem einzigen Ei, das er – der ehemalige Paul Prentiss aus Rahway, einst ein Mensch, der vierzigtausend Dollar im Jahr verdiente und ein Magengeschwür hatte und im Krankheitsfall nur miserable Zusatzleistungen beanspruchen konnte, denen eine korrupte Gewerkschaft zugestimmt hatte – jetzt in seiner Hand hielt. Ihm war bewusst, dass auch er sich in diesem Ei befand und körperlich sofort zu existieren aufhören würde, sobald er es zerschlug, aber wenn es den Himmel und darin einen Gott gab, waren beide bestimmt mächtiger als der Turm. In diesen Himmel würde er kommen, vor jenem Thron würde er kniend um Vergebung seiner Sünden bitten. Und er würde mit einem herzlichen Wohlgetan, du guter und getreuer Knecht willkommen geheißen werden. Seine Mutter würde dort sein, und sie würde ihn umarmen, und sie würden miteinander in die Gemeinschaft Jesu eintreten. Dieser Tag würde kommen, dessen war Pimli sich ganz sicher, und zwar würde er wahrscheinlich schon vor dem Heraufziehen des nächsten Erntemonds kommen.
Nicht, dass er sonderlich fand, ein religiöser Spinner zu sein. Durchaus nicht. Diese Gedanken an Gott und den Himmel behielt er strikt für sich. Für den Rest der Welt war er ein ganz gewöhnlicher Kerl, der seine Arbeit tat, eine Arbeit, die er bis zum bitteren Ende gut verrichten wollte. Er sah sich bestimmt nicht als Schurken, aber das hat noch kein wirklich gefährlicher Mann jemals getan. Denken wir nur an Ulysses S. Grant, jenen Bürgerkriegsgeneral, und seine Ankündigung, er werde den Kampf auf dieser Linie ausfechten, und wenn das den ganzen Sommer lang dauern sollte.
Im Algul Siento war der Sommer fast vorüber.
4
Die Villa des Oberaufsehers war ein schmuckes Cape-Cod-Haus und befand sich am einen Ende der Promenade. Die Villa hieß Shapleigh House (Pimli hatte keine Ahnung, weshalb), weshalb die Brecher sie natürlich Shit House nannten. Am anderen Ende der Straße stand ein viel größeres Wohngebäude: ein eleganter, geräumiger Bau im Queen-Anne-Stil, der (aus ebenso obskuren Gründen) Damli House hieß. Er hätte gut zu den Studentenwohnheimen irgendeiner Südstaatenuniversität gepasst. Die Brecher nannten es Heartbreak House, manchmal auch Heartbreak Hotel. Kein Problem. Dort wohnten und arbeiteten die Taheen und ein beträchtliches Kontingent von Can-Toi. Was die Brecher anging, sollten sie ruhig ihre kleinen Scherze machen und unbedingt weiterhin glauben, das Personal wüsste davon nichts.
Pimli Prentiss und Finli o’ Tego schlenderten in geselligem Schweigen die Promenade entlang … das heißt, außer wenn sie dienstfreien Brechern begegneten, die allein oder in Gruppen unterwegs waren. Pimli begrüßte jeden mit nie versagender Höflichkeit. Die Gegengrüße variierten zwischen unbekümmert fröhlich und mürrisch grunzend. Jeder jedoch gab irgendeine Art Antwort, was Pimli immerhin als kleinen Sieg wertete. Er machte sich etwas aus ihnen. Ob ihnen das recht war oder nicht – vielen war es nicht recht
Weitere Kostenlose Bücher