Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
an Jake weitergegeben, Jake hatte ihn an Oy weitergegeben, und Oy hatte ihn an Roland weitergegeben.
Susannah runzelte zweifelnd die Stirn. »Vielleicht ist er auch schon zu oft weitergegeben worden. Ich erinnere mich da an ein Spiel, das wir als Kinder immer gespielt haben. Stille Post, so haben wir’s genannt. Der erste Mitspieler denkt sich irgendwas aus, ein schwieriges Wort oder einen Satz, und flüstert es seinem Nachbarn zu. Man darf es nur einmal hören, Wiederholungen sind nicht erlaubt. Der zweite Mitspieler gibt weiter, was er gehört zu haben glaubt, und so geht das dann die Runde weiter. Bis das Wort beim letzten Mitspieler in der Reihe anlangt, hat es sich in etwas völlig anderes verwandelt, was immer großes Lachen hervorruft. Wenn dieses hier falsch ist, werden wir allerdings nichts zu lachen haben, fürchte ich.«
»Nun«, sagte Roland, »wir werden weiter auf der Hut sein und hoffen, dass ich’s richtig verstanden habe. Vielleicht bedeutet es ja auch überhaupt nichts.« Aber das glaubte er selbst nicht.
»Wo kriegen wir wärmere Sachen her, wenn es noch kälter wird als jetzt?«, fragte Susannah nun.
»Wir stellen uns selbst her, was wir brauchen. Darauf verstehe ich mich. Auch das ist etwas, was uns heute noch keine Sorgen zu machen braucht. Worüber wir uns Sorgen machen müssen, ist die Frage, was wir essen werden. Notfalls können wir vermutlich Nigels Vorratslager finden …«
»Ich will auf keinen Fall unter den Dogan zurück, bevor wir nicht unbedingt müssen«, sagte Susannah. »In der Nähe des Bettensaals muss es auch eine Küche geben; sie müssen den armen Kindern doch irgendwas zu essen gegeben haben.«
Roland dachte darüber nach, dann nickte er. Das war eine gute Idee.
»Komm, wir sehen am besten gleich nach«, sagte sie. »Nach Einbruch der Dunkelheit möchte ich nicht mal mehr in der obersten Etage dieser Bude sein.«
4
In der Turtleback Lane, im Jahr 2002, im Monat August, erwacht Stephen King aus einem Wachtraum über Fedic. Er tippt: »Nach Einbruch der Dunkelheit möchte ich nicht mal mehr in der obersten Etage dieser Bude sein.« Die Worte erscheinen auf dem Bildschirm vor ihm. Damit ist ein von ihm so bezeichnetes Unterkapitel abgeschlossen, aber das heißt nicht immer, dass er für diesen Tag fertig ist. Ob er für einen Tag fertig ist, hängt davon ab, was er hört. Oder genauer gesagt davon, was er nicht hört. Worauf er horcht, ist Ves’-Ka Gan, das Lied der Schildkröte. Für heute scheint die Musik, die an manchen Tagen nur leise und an anderen so laut ist, dass sie ihn fast taub macht, verstummt zu sein. Morgen wird sie zurückkehren. Bislang hat sie das jedenfalls immer getan.
Er drückt die Befehlstaste und gleichzeitig die S-Taste. Der Computer lässt sein Klingelzeichen hören, um zu melden, dass der heute geschriebene Text gespeichert ist. Dann steht er auf, verzieht das Gesicht wegen der Hüftschmerzen und tritt ans Fenster seines Arbeitszimmers. Er blickt auf die Einfahrt hinaus, die steil zu der Straße hinaufführt, auf der er jetzt nur noch selten zu Fuß unterwegs ist. (Und auf der Hauptstraße, der Route 7, nie mehr.) Das mit der Hüfte ist an diesem Vormittag sehr schlimm, und auch die großen Oberschenkelmuskeln scheinen in Flammen zu stehen. Während er hinaussieht, reibt er sich geistesabwesend die schmerzende Stelle.
Roland, du Hundesohn, du hast mir die Schmerzen zurückgegeben, denkt er. Sie verlaufen das rechte Bein entlang wie ein rot glühendes Seil nach unten, könnt ihr nicht Gott sagen, könnt ihr nicht Gott-Bombe sagen, und er ist der, bei dem sie letztlich hängen geblieben sind. Der Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hat, liegt bereits drei Jahre zurück, aber die Schmerzen sind noch immer da. Sie haben abgenommen – der menschliche Körper besitzt nun einmal erstaunliche Selbstheilungskräfte –, aber manchmal sind sie noch immer schlimm. Er denkt nicht viel an sie, wenn er schreibt, das Schreiben ist eine Art Flitzengehen, aber er ist immer recht steif, wenn er ein paar Stunden am Schreibtisch gesessen hat.
Er denkt an Jake. Ihm tut es verdammt Leid, dass Jake tot ist, und er vermutet, dass die Leser einfach rasend sein werden, sobald dieser neueste Roman erscheint. Und kann man es ihnen verübeln? Einige von ihnen kennen Jake Chambers nun bereits seit zwanzig Jahren, fast doppelt so lange, wie der Junge tatsächlich gelebt hat. Oh, sie werden fuchsteufelswild sein, aber werden sie ihm auch glauben,
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