Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
gesamte Menschheit, wie sie so in ihrer gestreiften Häftlingskleidung dastanden, die ihnen am Leib schlotterte, noch immer mit diesen grässlichen Pagenmützen auf dem Kopf und ihren schrecklich wachen Augen, Augen mit einem Ausdruck vollen Bewusstseins. Wollte Gott, wir wüssten nicht, was wir geworden sind, sagten diese Blicke, aber leider wissen wir es.
Etwas Ähnliches lag in Patrick Danvilles Augen, als er nun die Hände ausstreckte und seine unverständlichen Bittlaute lallte. Aus der Nähe klangen sie für Susannahs Ohr wie die spöttischen Rufe irgendeines Urwaldvogels auf der Tonspur eines Kinofilms: Ei-jie, ei-jie, ei-jauk, ei-jauk.
Roland nahm den Schlüssel vom Haken und trat an die Tür. Eine von Danvilles Händen krallte nach seinem Hemd, aber der Revolvermann schob sie fort. Aus dieser impulsiven Geste sprach keinerlei Zorn, wie Susannah fand, aber das hagere Wesen in der Zelle wich mit fast aus den Höhlen quellenden Augen zurück. Das Haar war lang – es hing ganz bis auf die Schultern herab –, aber auf den Wangen sprosste nur eine Andeutung von Bartwuchs. Lediglich an Kinn und Oberlippe war er etwas stärker. Susannah schätzte den Jungen auf siebzehn, bestimmt nicht viel älter.
»Nichts für ungut, Patrick«, sagte Roland wie in reinem Plauderton. Er steckte den Schlüssel ins Schloss. »Du bist doch Patrick? Du Bist doch Patrick Danville?«
Das abgemagerte Wesen in den schmutzigen Jeans und dem wallenden grauen Hemd (das ihm bis zu den Knien herabhing) wich in den hintersten Winkel seiner dreieckigen Zelle zurück, ohne ein Wort zu sagen. Als es hinter sich Mauerwerk spürte, ließ es sich neben dem Eimer, den Susannah für einen Klosettkübel hielt, langsam zu Boden gleiten, wobei das Vorderteil seines Hemds sich erst zusammenballte, um ihm dann wie Wasser in den Schritt zu fließen, während seine Knie immer höher ragten und zuletzt sein abgezehrtes, verängstigtes Gesicht fast einrahmten. Als Roland die Zellentür aufsperrte und so weit wie möglich aufzog (sie hatte keine Angeln), hob Patrick Danville wieder damit an, jene Vogellaute von sich zu geben, diesmal jedoch lauter: EI-JIE! EI-JAUK! I-JIIIIIE! Susannah biss die Zähne zusammen. Als Roland sich jetzt anschickte, die Zelle zu betreten, stieß der Junge einen noch lauteren Schrei aus und begann, mit dem Hinterkopf gegen die Steine zu schlagen. Roland trat zwei Schritte zurück. Das grausige Kopfanschlagen hörte auf, aber Danville starrte den Fremden ängstlich und misstrauisch an. Dann streckte er die Hände mit den langen Fingernägeln wieder wie um Hilfe flehend aus.
Roland sah zu Susannah hinüber.
Sie stemmte sich mit den Händen hoch, um an die Zellentür zu gelangen. Das ausgezehrte Jungen-Wesen in der Ecke stieß abermals seinen unheimlichen Vogelschrei aus, zog die flehend ausgestreckten Hände zurück, legte sie an den Handgelenken übereinander und verwandelte die Geste auf diese Weise in einen mitleiderregenden Verteidigungsversuch.
»Nein, Schätzchen.« Das war eine Detta Walker, die Susannah noch nie gehört hatte, deren Existenz sie nicht einmal vermutet hatte. »Nein, Schätzchen, ich tu dir nix, hätt ich das tun wollen, hätt ich dir einfach zwei Kugeln in den Kopf gejagt, wie ich’s mit dem Motherfucker da oben gemacht hab.«
Sie sah etwas in seinen Augen – vielleicht nur, dass sie sich kaum merklich weiteten, sodass das blutunterlaufene Weiße größer wurde. Sie nickte lächelnd. »Stimmt genau! Mister Collins, der is tot! Der kommt nie mehr nich hier runter und … Was? Was hat er dir getan, Patrick?«
Über ihnen, durchs Mauerwerk gedämpft, heulte der Sturm. Die Glühbirnen flackerten; das Haus stöhnte und ächzte aufbegehrend.
»Was hat er dir getan, mein Junge?«
Sinnlos. Er verstand nichts. Susannah war eben zu diesem Schluss gelangt, als Patrick Danville sich mit beiden Händen an den Bauch griff, um ihn sich zu halten. Er verzog das Gesicht zu einer krampfhaften Grimasse, die anscheinend ein Lachen ausdrücken sollte.
»Er hat dich zum Lachen gebracht.«
Der Junge in seiner Ecke nickte. Er verzog das Gesicht noch mehr. Nun wurden seine Hände zu Fäusten, die er ans Gesicht hob. Er rieb sich damit die Backen, dann drückte er sie in die Augen, zuletzt sah er wieder Susannah an. Ihr fiel auf, dass er am Nasensattel eine kleine Narbe hatte.
»Er hat dich auch zum Weinen gebracht.«
Und abermals nickte Patrick, wie er da so in seiner Ecke kauerte. Er wiederholte die Lachpantomime, indem
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