Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
geflüsterte Worte an ihr Ohr: »Die Zeit ist fast um … beeil dich …«
8
Sie schrak in einer Art Panik hoch und dachte: Ich muss ihn verlassen … und das tue ich am besten, bevor ich den Dunklen Turm auch nur am Horizont sehe. Aber wohin soll ich mich wenden? Wie kann ich ihn mit Patrick als einzigem Verbündeten gegen Mordred und den Scharlachroten König antreten lassen?
Diese Vorstellung brachte es mit sich, dass sie über eine bittere Gewissheit nachdachte: Wenn es zu einem Showdown kam, konnte Oy ihm bestimmt mehr helfen als Patrick. Der Bumbler hatte mehr als einmal gezeigt, dass er Mumm besaß, und wäre des Titels Revolvermann würdig gewesen, hätte er nur einen Revolver besessen – und eine Hand, um einen solchen zu führen. Patrick dagegen … Patrick war ein … nun, ein Bleistiftschwinger. Bewundernswert flink, aber mit einem Stift konnte man nicht viel umbringen, außer er war sehr spitz.
Sie setzte sich auf. Roland, der an die andere Seite ihres Elektrorollers gelehnt Wache hielt, merkte nichts davon. Und er sollte nichts davon merken. Das hätte zu Fragen geführt. Sie legte sich wieder hin, zog die Felle um sich und dachte an ihre erste Jagd zurück. Sie erinnerte sich daran, wie der einjährige Hirsch seine Richtung geändert hatte, um dann geradewegs auf sie zuzukommen, und wie sie ihn mit dem Oriza enthauptet hatte. Sie glaubte, das Heulen des Tellers in der kalten Luft zu hören – jenes Heulen, das entstand, wenn der Wind durch den kleinen Aufsatz, der Patricks Bleistiftspitzer so ähnlich sah, auf der Unterseite des Tellers pfiff. Sie glaubte, dass ihr Verstand versuchte, hier irgendeine Verbindung herzustellen, aber sie war zu müde, um dahinterzukommen. Möglicherweise bemühte sie sich auch zu angestrengt. Aber was sollte sie dagegen tun, falls Letzteres zutraf?
Zumindest eines wusste sie aus ihrer Zeit in Calla Bryn Sturgis. Die Hieroglyphen auf der Tür bedeuteten NICHTGEFUNDEN.
Die Zeit ist fast um. Beeil dich.
Am nächsten Tag ging das mit den Tränen los.
9
Es gab weiterhin reichlich Büsche, hinter die sie verschwinden konnte (um ihren Tränen freien Lauf zu lassen, wenn sie sich nicht mehr zurückhalten ließen), aber das Land wurde immer flacher und weiter. Gegen Mittag des zweiten vollen Tages auf der Straße zum Turm sah Susannah etwas, was sie erst für einen weit vor ihnen über die Landschaft ziehenden Wolkenschatten hielt – nur war der Himmel über ihnen von Horizont zu Horizont wolkenlos blau. Schließlich änderte der große dunkle Fleck auf nicht sehr wolkenähnliche Art seine Richtung. Susannah hielt die Luft an und brachte ihren kleinen Elektroroller zum Stehen.
»Roland!«, sagte sie. »Das dort vorn ist eine Büffelherde, oder vielleicht sind’s Bisons! Todsicher!«
»Aye, sagst du das?«, fragte Roland ohne sonderliches Interesse. »Im Lange-Her haben wir sie Bannock genannt. Es ist eine ziemlich große Herde.«
Patrick stand auf der Ladefläche von Ho Fat II und zeichnete wie verrückt. Er hielt den Bleistift jetzt anders, sodass der gelbe Schaft an seiner Handfläche anlag, während er mit der Spitze schraffierte. Susannah konnte fast den von der Büffelherde aufsteigenden Staub riechen, während er ihn schraffierte. Sie hatte allerdings den Eindruck, dass er sich die künstlerische Freiheit genommen hatte, die Herde eine oder gar zwei Meilen heranzuholen – oder er sah erheblich besser als sie. Das war natürlich möglich. Unterdessen hatten auch ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt, und sie sah die Büffel nun besser. Ihre großen zottigen Schädel. Sogar ihre schwarzen Augen.
»Eine Büffelherde dieser Größe hat es in Amerika seit bestimmt hundert Jahren nicht mehr gegeben«, sagte sie.
»Aye?« Weiter nur höfliches Interesse. »Aber hier gibt es sie im Überfluss, würde ich sagen. Wenn ein kleines Tet von ihnen in Schussweite kommt, sollten wir ein Tier erlegen. Ich würde gern einmal etwas frisches Fleisch essen, das nicht Hirsch ist. Du wohl auch, oder?«
Susannah ließ ihr Lächeln für sich antworten. Roland erwiderte es. Und ihr wurde erneut bewusst, dass sie ihn bald nicht mehr sehen würde, diesen Mann, den sie anfangs für ein Trugbild oder einen Dämon gehalten hatte, bevor sie ihn sowohl an-tet als auch dan-dinh kennen gelernt hatte. Eddie war tot. Jake war tot, und sie würde Roland von Gilead bald nicht mehr sehen. Würde sie dann ebenfalls tot sein? Würde sie’s sein?
Sie sah kurz
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