Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
anderes tun, als sich mit ihren Mätzchen abzufinden und sich daran zu erinnern, dass bald alles vorüber sein würde, Jesus und Gott der allmächtige Vater seien gepriesen. Irgendwann zog der ehemalige Paul Prentiss die mittlere Schreibtischschublade auf, nahm den ‚45er Colt Peacemaker heraus und behielt ihn auf dem Schoß. Es war der Revolver, mit dem Humma, der vorige Oberaufseher, den Vergewaltiger Cameron hingerichtet hatte. Pimli hatte während seiner Amtszeit niemanden hinrichten müssen und war froh darüber, aber den Revolver auf dem Schoß zu haben, sein würdevolles Gewicht zu spüren, brachte immer einen gewissen Trost. Wieso er den jedoch in den stillen Stunden der Nacht brauchen sollte, vor allem wo doch alles so gut lief, wusste er selbst nicht. Er wusste nur, dass man in der von Finli und ihrem Cheftechniker Jenkins so bezeichneten Tiefentelemetrie – als ob es sich um Instrumente handelte, die sich auf dem Meeresboden statt in einer kleinen Kellerkammer neben dem langen, niedrigen Raum mit den anderen, nützlicheren Geräten befanden – einige anomale Impulse verzeichnet hatte. Um das Kind beim rechten Namen zu nennen: Was Pimli empfand, erkannte er als die Ahnung eines bevorstehenden Verhängnisses. Er versuchte sich einzureden, dass dieses Gefühl nur die praktische Anwendung der Redensart seines Großvaters war: Er war fast zu Hause und hatte nun allen Grund, sich Sorgen wegen der Eier zu machen.
Schließlich hatte er eine Dockerschlinge angelegt, den Peacemaker darin versorgt und war ins Bad gegangen, wo er den Klodeckel heruntergeklappt und sich dann davor niedergekniet hatte, um zu beten. Und dort hielt er sich nun noch immer auf, nur hatte sich etwas in der Atmosphäre verändert. Obwohl er keine Schritte gehört hatte, wusste er, dass jemand sein Büro betreten hatte. Logik ließ darauf schließen, wer das sein musste. Noch immer mit geschlossenen Augen, noch immer mit beiden Händen den heruntergeklappten Klodeckel umklammernd, rief er: »Finli? Finli o’ Tego? Bist du das?«
»Yar, Boss, ich bin’s.«
Was machte der denn noch vor dem Hornsignal hier? Alle, sogar die Brecher, kannten Finli das Wiesel als begeisterten Langschläfer. Aber alles zu seiner Zeit. Vorläufig sprach Pimli noch mit dem Herrn (obwohl er ehrlich gesagt beinahe kniend eingedöst wäre, kurz bevor irgendein tief sitzender Urinstinkt ihn gewarnt hatte, er sei im ersten Stock seiner Villa nicht länger allein). Einen so wichtigen Gast wie den Herrn der himmlischen Heerscharen durfte man nicht vor den Kopf stoßen, weshalb er sein Gebet – »Gewähre mir die Gnade deines Willens, amen!« – nun beendete, bevor er sich ächzend erhob. Sein verdammter Rücken machte mit dem Wanst, den er vorn mitschleppen musste, nicht recht mit.
Finli stand am Fenster, hielt den Peacemaker ans trübe Morgenlicht hoch und drehte ihn hin und her, um den fein ziselierten Lauf bewundern zu können.
»Mit dem ist doch Cameron liquidiert worden, oder?«, sagte Finli. »Der Vergewaltiger Cameron.«
Pimli nickte. »Pass gut auf, mein Sohn. Er ist geladen.«
»Mit sechs Schuss?«
»Acht! Bist du blind? Sieh dir doch die Trommel an, um Himmels willen.«
Finli ging nicht darauf ein. Stattdessen gab er Pimli den Revolver zurück. »Ich weiß, wie man den Abzug betätigt, das tue ich, und bei Waffen genügt das.«
»Aye, wenn sie geladen sind. Wie kommt’s, dass du schon so früh auf den Beinen bist und einen Mann beim Morgengebet störst?«
Finli musterte sein Gegenüber prüfend. »Was würdest du mir antworten, wenn ich dich fragen würde, weshalb ich dich angezogen und gekämmt – statt in Bademantel und Pantoffeln und mit nur einem offenen Auge – beim Morgengebet antreffe?«
»Ich hab Bammel. So einfach ist das. Aber dir geht’s wohl auch nicht anders.«
Finli lächelte entzückt. »Bammel! Ist das so was wie kribbelig und flatterig und hei-tei-tei-trullala?«
»So ungefähr … yar.«
Finlis Lächeln wurde breiter, obwohl Pimli fand, das es nicht ganz echt wirkte. »Das gefällt mir! Das gefällt mir sehr gut! Bammelig! Bammelhaft!«
»Nein«, sagte Pimli. »›Bammel haben‹, so heißt’s richtig.«
Finlis Lächeln verblasste. »Auch ich habe Bammel. Ich bin kribbelig. Ich fühle mich hei-tei-tei. Ich bin flatter, und du bist rig.«
»Weitere Impulse mit der Tiefentelemetrie?«
Finli zuckte die Achseln, dann nickte er. Das Problem bei der Tiefentelemetrie war, dass keiner genau wusste, was sie eigentlich maß. Es
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