Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
lebt.«
»Noch lebt, gut«, sagte Smith. »Ich wollt keinem was tun, ehrlich.«
»Er hat mit Euch gesprochen. Daher habt Ihr gewusst, dass er noch lebt.«
»Ja!« Smith lächelte. Dann runzelte er die Stirn. »Was hat er gesagt?«
»Das wisst Ihr nicht mehr. Ihr wart aufgeregt und ängstlich.«
»Ängstlich und aufgeregt. Aufgeregt und ängstlich. Ja, das war ich.«
»Ihr fahrt jetzt weg. Unterwegs wacht Ihr nach und nach wieder auf. Und beim ersten Haus oder Laden haltet Ihr an, um zu melden, dass hier an der Straße ein Mann liegt. Ein Mann, der Hilfe braucht. Wiederholt jetzt Euren Auftrag, und seid wahrhaftig.«
»Fahren.« Mit den Händen liebkost er das Lenkrad, als wäre er am liebsten sofort losgefahren. Roland vermutete, dass dem wohl auch so war. »Nach und nach aufwachen. Im ersten Haus oder Laden melden, dass Stephen King verletzt am Straßenrand liegt und Hilfe braucht. Ich weiß, dass er noch lebt, weil er mit mir geredet hat. Es war ein Unfall.« Er machte eine Pause. »Das war nicht meine Schuld. Er ist auf der Fahrbahn gegangen.« Erneut eine Pause. »Wahrscheinlich.«
Kümmert’s mich, wer die Verantwortung für diesen Schlamassel tragen muss?, fragte Roland sich. Irgendwie nicht. King konnte in beiden Fällen weiterschreiben. Und Roland hoffte fast, dass man ihm die Schuld gab, weil eigentlich King an allem schuld war: Er hätte überhaupt nie hier draußen unterwegs sein dürfen.
»Fahrt jetzt los!«, befahl er Bryan Smith. »Ich will Euer Gesicht nicht mehr sehen.«
Smith ließ den Motor des Vans mit einer Miene an, aus der wahre Erleichterung sprach. Roland machte sich nicht die Mühe, ihn beim Wegfahren zu beobachten. Er ging zu Mrs. Tassenbaum hinüber und sank neben ihr auf die Knie. Oy saß jetzt stumm Jake zu Häupten, weil er wusste, dass der, um den er trauerte, sein Heulen nicht mehr hören konnte. Was der Revolvermann am meisten gefürchtet hatte, war passiert. Während er mit zwei Männern gesprochen hatte, die er nicht mochte, war der Junge, den er mehr liebte als alle anderen – mehr als er sein ganzes Leben lang jemanden geliebt hatte, selbst Susan Delgado –, zum zweitenmal für ihn unerreichbar geworden. Jake war tot.
5
»Er hat mit dir gesprochen«, sagte Roland. Er nahm Jake in die Arme und begann ihn sanft zu wiegen. Die ’Rizas klapperten in ihrer Tasche. Er bildete sich ein, dass Jake bereits kalt wurde.
»Ja«, sagte sie.
»Was hat er gesagt?«
»Er hat mich aufgefordert, zurückzukommen und Sie abzuholen, ›wenn die Sache hier erledigt ist‹. Genau so hat er’s ausgedrückt. Und er hat hinzugefügt: ›Sagen Sie meinem Vater, dass ich ihn liebe.‹«
Roland brachte nur einen erstickten, jämmerlichen Laut heraus, der tief aus der Kehle kam. Er dachte daran, wie es in Fedic gewesen war, nachdem sie durch die Tür gegangen waren. Heil, Vater, hatte Jake gesagt, und Roland hatte ihn auch damals in die Arme geschlossen. Nur hatte er dabei das Herz des Jungen schlagen gespürt. Er hätte alles dafür gegeben, es wieder schlagen fühlen zu können.
»Er hat noch mehr gesagt«, fuhr sie fort, »aber haben wir jetzt überhaupt Zeit dafür – vor allem, wo ich’s Ihnen doch auch später erzählen kann?«
Roland verstand sofort, was sie meinte. Die Geschichte, die Bryan Smith und Stephen King erzählen würden, war sehr einfach. Darin war kein Platz für einen schlaksigen, von langer Wanderung staubigen Mann mit einem großen Revolver, auch nicht für eine ergrauende Frau und erst recht nicht für einen toten Jungen, der eine Tasche mit scharfkantigen Tellern über der Schulter trug und im Bund seiner Jeans eine Maschinenpistole stecken hatte.
Die einzige Frage war, ob die Frau überhaupt zurückkommen würde, um ihn abzuholen. Sie war nicht der erste Mensch, den er dazu bewogen hatte, Dinge zu tun, die jener normalerweise vielleicht nicht getan hätte, aber Roland wusste, dass sich das ändern konnte, sobald sie fort war. Ihr ein feierliches Versprechen abzunehmen – Schwört Ihr, mich wieder abzuholen, Sai? Schwört Ihr’s beim stehen gebliebenen Herzen dieses Jungen? – wäre sinnlos gewesen. Sie konnte hier jedes Wort davon meinen und ihre Meinung ändern, sobald sie über den nächsten Hügel gefahren war.
Aber als er Gelegenheit gehabt hatte, den Ladenbesitzer, dem der Pick-up gehörte, seinen Wagen selbst fahren zu lassen, hatte er’s nicht getan. Und er hatte sie auch nicht gegen den alten Mann ausgetauscht, der den Rasen des
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