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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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meistens war es auch nichts Wichtiges – Plappern und Schwatzen über Verwandte und Freunde, die sie nie kennenlernen würde, unausgegorene politische Ansichten, befremdliche wissenschaftliche Kommentare aus einer Vielzahl befremdlicher Quellen (unter anderem glaubte Andrew felsenfest an fliegende Untertassen, die er you-foes nannte) – aber das rührte sie, weil sie in der Nacht, als er gewählt worden war, auch geweint hatte.
    »Aber ich habe nicht geweint, als ihn dieser Hurensohn – bitte meine Ausdrucksweise zu entschuldigen, Miz Holmes –, als ihn dieser Hurensohn Oswald erschossen hat, und ich habe seither nicht mehr geweint, und dabei ist es jetzt – wie lange her? Zwei Monate?«
    Drei Monate und zwei Tage, dachte sie.
    »Schätze, das dürfte ungefähr stimmen.«
    Andrew nickte. »Dann habe ich diesen Artikel gelesen – könnte in der Daily News gewesen sein, gestern –, daß Johnson seine Aufgabe wahrscheinlich ziemlich gut erfüllen wird, aber es wird nicht dasselbe sein. Der Bursche hat geschrieben, Amerika hätte das Ende des letzten Revolvermanns der Welt miterlebt.«
    »Ich glaube nicht, daß John F. Kennedy das war«, sagte Odetta, und wenn ihre Stimme schneidender klang als die, die Andrew zu hören gewohnt war (und das mußte so sein, denn sie sah seine Augen im Rückspiegel erstaunt blinzeln, ein Blinzeln, das mehr einem Zusammenzucken gleichkam), so lag das daran, daß auch das sie rührte.
    Es war absurd, aber es war auch eine Tatsache. Dieser Satz – Amerika hat das Ende des letzten Revolvermanns gesehen – hatte etwas, das einen tiefen Akkord in ihrem Verstand anschlug. Es war häßlich, es war unwahr – John Kennedy war ein Friedensbringer gewesen, kein lederbegurteter Billy the Kid-Typ, das lag mehr auf der Goldwater-Linie –, aber aus irgendwelchen Gründen verschaffte es ihr auch Gänsehaut.
    »Nun, der Mann hat auch geschrieben, es würde keine Knappheit an Schützen in der Welt herrschen«, fuhr Andrew fort und betrachtete sie nervös im Rückspiegel. »Er nannte zum einen Jack Ruby, und Castro, und diesen Burschen auf Haiti…«
    »Duvalier«, sagte sie. »Papa Doc.«
    »Ja, der, und Diem…«
    »Die Brüder Diem sind tot.«
    »Nun, er schrieb, Jack Kennedy wäre anders, das ist alles. Er schrieb, der würde auch ziehen, aber nur wenn ihn ein Schwächerer zum Ziehen zwingt und es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Er schrieb, Kennedy war schlau genug einzusehen, daß Reden manchmal nicht mehr ausreicht. Er schrieb, Kennedy hat gewußt, wenn etwas Schaum vor dem Maul hat, muß man es erschießen.«
    Seine Augen sahen sie weiterhin ängstlich an.
    »Außerdem war es ja nur ein Artikel, den ich gelesen habe.«
    Jetzt fuhr die Limousine die Fifth Avenue entlang, Richtung Central Park, das Cadillacemblem am Ende der Motorhaube schnitt durch die kalte Februarluft.
    »Ja«, sagte Odetta sanft, und Andrews Augen entspannten sich ein wenig. »Ich verstehe. Ich stimme nicht zu, aber ich verstehe.«
    Du lügst, sagte eine Stimme in ihrem Verstand. Das war eine Stimme, die sie ziemlich häufig hörte. Sie hatte ihr sogar einen Namen gegeben. Es war die Stimme des Viehtreibers. Du verstehst vollkommen und du stimmst uneingeschränkt zu. Lüg Andrew an, wenn du es notwendig findest, aber lüg dich um Gottes willen nicht selbst an, Frau.
    Und doch protestierte ein Teil von ihr entsetzt. In einer Welt, welche zu einem nuklearen Pulverfaß geworden war, auf dem mittlerweile fast eine Milliarde Menschen saßen, war es ein Fehler – vielleicht einer von selbstmörderischen Ausmaßen –, an einen Unterschied zwischen guten Schützen und bösen Schützen zu glauben. Zu viele zittrige Hände hielten Feuerzeuge in die Nähe von zu vielen Zündschnüren. Dies war keine Welt für Revolvermänner. Wenn es je eine Zeit für sie gegeben hatte, so war sie vorbei.
    Tatsächlich?
    Sie machte kurz die Augen zu und rieb sich die Schläfen. Sie konnte Kopfschmerzen im Anzug spüren. Manchmal drohten sie nur, wie das ominöse Zusammenballen von Gewitterwolken an einem Sommertag, und wehten dann wieder fort… wie sich diese bösen Sommergewitter manchmal einfach in die eine oder andere Richtung verzogen, um ihren Donner und ihre Blitze über einer anderen Gegend auszuschütten.
    Sie glaubte jedoch, daß der Sturm diesmal kommen würde. Er würde mit allem Drum und Dran kommen, mit Donner, Blitzen und Hagelkörnern so groß wie Golfbälle.
    Die Straßenlampen, die die Fifth Avenue entlanghuschten, waren viel zu

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