Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
anzunehmen, dass er auf einen Balkon des Turms verbannt worden ist«, sagte Roland. »Untot oder nicht, er hätte den Turm nie ohne irgendein Sigul des Eld ersteigen können; wenn er die Prophezeiung tatsächlich so gut gekannt hat, muss er auch das gewusst haben.«
Fimalo lächelte grimmig. »Aye, aber wie Horatio in einer in Susannahs Welt erzählten Geschichte die Brücke gehalten hat, hält Los’, der Scharlachrote König, jetzt den Turm. Er kann ihn nicht bis ganz oben ersteigen, aber das kannst auch du nicht, solange er ihn gut verteidigt.«
»Der alte King Red scheint doch nicht ganz übergeschnappt zu sein«, sagte Femalo.
»Plemplem wie ein tollwütiger Fuchs!«, fügte Fumalo hinzu. Er tippte sich mit ernster Miene an die Schläfe … um dann in Gelächter auszubrechen.
»Aber wenn ihr doch weiterzieht«, sagte Fimalo, »bringt ihr ihm die Siguls des Eld, die er braucht, um sich in den Besitz des Turms zu setzen, dessen Gefangener er nun ist.«
»Erst einmal würde er sie mir wegnehmen müssen«, sagte Roland. »Uns wegnehmen.« Er sprach so unaufgeregt, als würde er nur eine Bemerkung übers Wetter machen.
»Richtig«, bestätigte Fimalo, »aber überleg doch, Roland: Du kannst ihn nicht damit töten, aber es ist möglich, dass er sie dir abnimmt, ist er doch ziemlich gerissen und seine Reichweite groß. Und gelänge ihm das … tja! Stellt euch einen toten, wahnsinnigen König vor, der mit einem Paar der großen alten Revolver in seinem Besitz im obersten Turmgeschoss residiert! Er könnte von nun an von dort oben aus herrschen, aber ich vermute, dass er sich in seinem Wahnsinn eher dafür entscheiden würde, ihn zum Einsturz zu bringen. Was er vermutlich auch tun könnte, Balken hin oder her.«
Fimalo betrachtete sie von jenseits der Brücke mit ernstem Gesicht.
»Und dann«, sagte er, »wäre alles nur noch Dunkelheit.«
4
Dann folgte eine Pause, in der alle vor und auf der Brücke Stehenden über diese Vorstellung nachdachten. Zuletzt sagte Femalo fast entschuldigend: »Der Preis wäre vielleicht nicht so hoch, wenn man nur diese Welt berücksichtigen müsste, die man ohne weiteres die Turmwelt nennen könnte, weil der Dunkle Turm hier nicht wie in vielen Welten als Rose, wie in einigen Welten als unsterblicher Tiger oder wie in mindestens einer Welt als Ur-Hund Rover existiert …«
»Ein Hund namens Rover?«, sagte Susannah gedankenverloren. »Sagt ihr das wirklich?«
»Lady, du hast so viel Phantasie wie ein angekohltes Holzscheit«, sagte Fumalo in verächtlichem Ton.
Femalo beachtete das nicht weiter. »In dieser Welt hier ist der Turm er selbst. In der Welt, in der du, Roland, zuletzt warst, pflanzen die meisten Arten sich noch ohne Mutationen fort, verläuft das Leben vieler weiterhin erfreulich, gibt es noch Kraft und Hoffnung. Würdest du riskieren wollen, jene Welt ebenso wie diese und alle anderen Welten zu zerstören, die Sai King in seiner Phantasie berührt, aus denen er geschöpft hat? Denn nicht er war ihr Schöpfer, wie du weißt. Ein Blick auf den Nabel von Gan macht einen nicht selbst zu Gan, obwohl viele kreative Leute das zu glauben scheinen. Würdest du das also alles riskieren wollen?«
»Wir stellen nur Fragen, ohne euch zu irgendetwas überreden zu wollen«, sagte Fimalo. »Aber die Wahrheit ist ernüchternd: Es gibt jetzt nur noch deine Suche, Revolvermann. Sie ist alles, was noch übrig ist. Nichts zwingt dich zum Weiterwandern. Sobald du dieses Schloss verlässt und in die Weißen Lande weiterziehst, überschreiten deine Freunde und du eine vom Ka gezogene Grenze. Aber das brauchst du nicht zu tun. Was du durchlitten hast, ist in Gang gesetzt worden, damit du die Balken rettest, um so den ewigen Fortbestand des Turms zu sichern – jener Achse, um die sich alle Welten und alles Leben drehen. Das ist geschafft. Wenn du jetzt umkehrst, dann bleibt der tote König für ewig dort gefangen, wo er jetzt ist.«
»Sagt ihr«, warf Susannah in einem rüden Ton ein, der Sai Fumalos würdig gewesen wäre.
»Ob ihr wahrhaftig sprecht oder falsch, kümmert mich nicht«, sagte Roland. »Ich werde trotzdem weiterziehen, habe ich doch mein Versprechen gegeben.«
»Aber wem hast du dein Versprechen gegeben?«, entfuhr es Fimalo. Zum ersten Mal, seit er jenseits der Brücke Halt gemacht hatte, löste er die gefalteten Hände und benutzte sie dazu, um sich die Haare aus der Stirn zu streichen. Es war nur eine kleine Geste, die seine Verärgerung jedoch völlig
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