Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Susannah.«
Schwierig war es nur, die Finger weit genug einzugraben. Dann zogen sie beide gemeinsam. Als das Fell bis zu den baumelnden Vorderläufen herabhing, erinnerte es entfernt an ein Hemd. Roland benutzte sein Messer, um es abzuschneiden, und fing dann an, etwas abseits des prasselnden Feuers, aber noch unter den Bäumen, eine Grube auszuheben. Susannah half ihm und genoss das Gefühl, wie ihr der Schweiß über Gesicht und Körper lief. Nachdem sie eine flache Mulde ausgehoben hatten, die gut einen halben Meter breit und einen Viertelmeter tief war, kleidete Roland sie mit dem Fell aus.
Den ganzen Nachmittag lang wechselten sie sich dabei ab, die übrigen acht erlegten Hirsche abzuhäuten. Das Ganze musste so schnell wie möglich geschehen; sobald die Fett- und Muskelschicht nämlich unter der Haut austrocknete, wurde die Arbeit mühsamer und damit auch zeitraubender. Der Revolvermann achtete darauf, dass das Feuer weiter loderte, und ließ Susannah zwischendurch allein arbeiten, um Holzasche herauszurechen. Wenn diese so weit abgekühlt war, dass sie keine Löcher mehr in die Auskleidung der Mulde brennen konnte, schob er sie dort hinein. Gegen fünf Uhr nachmittags konnte Susannah kaum noch die Arme heben, aber sie arbeitete verbissen weiter. Rolands Gesicht, Hals und Hände waren von der Asche auf komische Weise geschwärzt.
»Du siehst wie der Sänger in einer Minstrel-Show aus«, sagte sie. »Rastus Coon.«
»Wer ist das?«
»Bloß jemand, der sich zum Narren der Weißen macht«, antwortete sie. »Glaubst du, dass Mordred zurzeit irgendwo dort draußen ist und uns bei der Arbeit zusieht?« Sie hatte den ganzen Tag die Augen nach ihm offen gehalten.
»Nein«, sagte er und richtete sich auf, um eine Pause zu machen. Er strich sich die Haare aus der Stirn und hinterließ dabei eine frische Aschespur, die Susannah an die Bußfertigen am Aschermittwoch denken ließ. »Ich glaube, er ist fort, um selbst zu jagen.«
»Mordred sein hongrig«, sagte sie. Und dann: »Du kannst Fühlung zu ihm aufnehmen, stimmt’s? Zumindest genug, um zu wissen, ob er hier ist oder nicht.«
Roland dachte darüber nach, dann sagte er einfach: »Ich bin sein Vater.«
8
Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie einen Stapel Hirschfelle und einen Berg enthäuteter, kopfloser Kadaver, die bei wärmerem Wetter bestimmt von Fliegen schwarz gewesen wären. Sie schlugen sich wieder mit zischend heißen, absolut köstlichen Hirschsteaks voll, und Susannah hatte einen weiteren Gedanken für Mordred übrig, der irgendwo dort draußen im Dunkeln war und sein Abendessen vermutlich roh verzehrte. Möglicherweise besaß er Zündhölzer, aber er war nicht dumm; hätten sie in der Dunkelheit ein weiteres Feuer gesehen, hätten sie es sofort überfallen. Und ihn. Dann peng-peng-peng, goodbye, Spider-Boy. Sie empfand erstaunlich viel Mitgefühl für ihn und ermahnte sich selbst, sich davor in Acht zu nehmen. Unter umgekehrten Vorzeichen hätte Mordred bestimmt keines für Roland oder sie empfunden.
Nach dem Essen wischte Roland sich die fettigen Finger am Hemd ab und sagte: »Das hat gut geschmeckt.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Jetzt nehmen wir die Gehirne heraus. Dann schlafen wir.«
»Nacheinander?«, fragte Susannah.
»Ja – meines Wissens gibt’s nur ein Gehirn pro Kunde.«
Im ersten Augenblick war sie zu überrascht, als sie Eddies Redewendung
(eines pro Kunde)
aus Rolands Mund kommen hörte, um zu merken, dass er einen Scherz gemacht hatte. Lahm, ja, aber trotzdem ein echter Scherz. Sie rang sich ein Pro-forma-Lächeln ab. »Sehr witzig, Roland. Du weißt, was ich meine.«
Roland nickte. »Wir schlafen abwechselnd und halten Wache, ja. Ich glaube, das wäre am besten.«
Zeit und Wiederholung hatten ihre Wirkung getan; sie hatte inzwischen zu viele hervorquellende Eingeweide gesehen, um sich jetzt noch vor ein paar Gehirnen zu ekeln. Sie schlugen Schädel ein, benutzten Rolands Messer (jetzt schon ziemlich stumpf), um sie aufzubrechen, und nahmen dann die Gehirne der erlegten Tiere heraus. Diese stapelten sie sorgfältig wie ein Gelege mit großen grauen Eiern auf. Bis der letzte Schädel sein Gehirn hergegeben hatte, waren Susannahs Finger so wund und geschwollen, dass sie sich kaum noch biegen ließen.
»Leg dich hin«, sagte Roland. »Schlaf. Ich übernehme die erste Wache.«
Susannah widersprach nicht. Sie wusste, dass ihr voller Bauch und die Wärme des Feuers bewirken würden, dass sie schnell
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