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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Scharlachrote König sich mit diesem Gekreisch nicht selbst den Schädel spaltete. Er lud die verschossene Patrone nach – solange er konnte, würde er dafür sorgen, dass alle Kammern der Trommel stets voll waren – und vernahm dieses Mal ein zweifaches Heulen. Patrick stöhnte, wälzte sich in dem mit Steinbrocken durchsetzten Gras auf den Rauch und bedeckte den Kopf schützend mit den Händen. Roland blieb mit dem Rücken an die Pyramide aus Stahl und Stein gelehnt sitzen, ließ den langen Lauf des Sechsschüssers auf dem Oberschenkel ruhen und wartete entspannt. Zugleich konzentrierte er seine gesamte Willenskraft auf eine einzige Aufgabe. Als Reaktion auf dieses in großer Höhe näher kommende Heulen wollten seine Augen zu tränen beginnen, und das durfte er nicht zulassen. Sein unnatürlich scharfes Sehvermögen, für das er zu seiner Zeit so berühmt gewesen war, hatte er niemals mehr benötigt als in diesem Augenblick.
    Seine blauen Augen blieben weiter klar, während die Schnaatze über sie hinweg bis zur Straße heulten. Diesmal kurvte einer links, der andere rechts zurück. Zudem flogen sie nun mit Ausweichbewegungen, indem sie unberechenbar von einer Seite auf die andere zickzackten. Was ihnen jedoch nichts nutzte. Roland wartete und saß mit ausgestreckten Beinen so da, dass seine abgewetzten alten Stiefel ein entspanntes V bildeten, während sein Herz gleichmäßig und langsam schlug und seine Augen alle Klarheit und alle Farben der Welt in sich aufnahmen (hätte er an diesem letzten Tag noch besser gesehen, hätte er, so glaubte er, sogar den Wind sehen können). Dann riss er die Waffe hoch, schoss beide Schnaatze aus der Luft und lud die beiden Kammern seines Revolvers bereits nach, als ihre Bilder noch mit seinem Herzschlag vor seinen Augen pulsierten.
    Er beugte sich zur Kante der Pyramide hinüber, griff nach dem Fernglas, legte es auf eine Auskragung in geeigneter Höhe und sah damit zu seinem Feind hinüber. Der Scharlachrote König sprang ihm förmlich entgegen, und Roland sah zum ersten Mal im Leben genau das mit Augen, was er sich immer vorgestellt hatte: einen alten Mann mit gewaltiger, wächsern aussehender Hakennase; rote Lippen, die im schneeigen Weiß eines wallenden Bartes blühten; schneeweißes Haar, das über den Rücken des Scharlachroten Königs bis fast zu dessen hagerem Hintern hinabfiel. Die Augen in dem rosig angelaufenen Gesicht spähten zu den Pilgern hinüber. Der König trug eine leuchtend rote Robe, die hier und da mit Blitzen und kabbalistischen Symbolen besetzt war. Susannah, Eddie und Jake wäre er wie der Weihnachtsmann vorgekommen. Roland erschien er als das, was er war: eine Ausgeburt der Hölle.
    »WIE LANGSAM DU BIST!«, rief der Revolvermann auf spöttische Weise scheinbar erstaunt. »VERSUCH’S MAL MIT DREIEN, VIELLEICHT KLAPPT’S MIT DREIEN!«
    Der Blick durchs Fernglas war nicht anders, als sähe man durch ein auf der Seite liegendes magisches Stundenglas. Roland beobachtete, wie der Große Rote König auf und ab sprang und seine hochgereckten Fäuste auf eine Art schüttelte, die fast schon komisch war. Der Revolvermann glaubte, zu Füßen der Gestalt in der Robe eine Holzkiste zu erkennen, war sich dessen aber nicht ganz sicher; die gedrehten Eisenstäbe zwischen Boden und Geländer des Balkons verdeckten sie zum größten Teil.
    Das muss sein Munitionsvorrat sein, dachte er. Das muss er sein. Wie viele kann er in einer Kiste dieser Größe haben? Zwanzig? Fünfzig? Aber das spielte keine Rolle. Solange der Rote König es nicht schaffte, mehr als zwölf gleichzeitig zu werfen, war Roland zuversichtlich, alles abschießen zu können, was der alte Dämon gegen ihn einsetzen mochte. Schließlich war das sein Daseinszweck.
    Unglücklicherweise wusste der Scharlachrote König das so gut wie Roland.
    Das Wesen auf dem Balkon stieß einen weiteren grausigen, ohrenbetäubend lauten Schrei aus (Patrick bohrte sich die schmutzigen Finger in die schmutzigen Ohren) und tat so, als wollte es sich nach neuer Munition bücken. Dann hielt es jedoch inne. Der Revolvermann beobachtete, wie es ans Balkongeländer vortrat … und ihm dann geradewegs in die Augen sah. Sein Blick war rot und glühend. Roland ließ sofort das Fernglas sinken, um nicht hypnotisiert werden zu können.
    Die Stimme des Königs drang an sein Ohr. »WARTE ALSO EIN WENIG – UND DENK DARÜBER NACH, WAS DU GEWINNEN WÜRDEST, ROLAND! DENK DARAN, WIE NAHE DU DEINEM ZIEL JETZT BIST! UND … HORCH! HÖRE

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