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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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DAS LIED, DAS DEIN SCHATZ SINGT!«
    Dann verstummte er. Kein weiteres Heulen; kein weiteres Pfeifen; keine weiteren anfliegenden Schnaatze. Was Roland stattdessen hörte, war das leise Seufzen des Windes … und was er auf Geheiß des Königs hören sollte.
    Den Ruf des Turms.
    Komm, Roland, sangen die Stimmen. Sie kamen von den Rosen auf dem Can’-Ka No Rey, sie kamen von den genesenden Balken über ihm, und sie kamen vor allem vom Dunklen Turm selbst, den er sein Leben lang gesucht hatte, der nun greifbar nahe vor ihm stand … der ihm jedoch zumindest vorerst noch vorenthalten wurde. Wenn er sich ihm jetzt weiter näherte, würde er auf dem deckungslosen Feld getötet werden. Trotzdem saß der Ruf wie ein Angelhaken in seinem Kopf, zog ihn unablässig weiter vorwärts. Der Scharlachrote König wusste, dass dieser Haken ihm die Arbeit abnehmen würde, wenn er nur lange genug wartete. Und während die Zeit verging, wurde das auch Roland klar. Weil die Stimmen nicht gleichmäßig waren. Auf dem gegenwärtigen Niveau konnte er ihnen widerstehen. Widerstand ihnen. Aber als der Nachmittag verstrich, wurde der Ruf stärker. Roland begann zu verstehen – und das mit wachsendem Entsetzen –, weshalb er in seinen Träumen und Visionen stets gesehen hatte, wie er den Dunklen Turm bei Sonnenuntergang erreichte, wenn das Licht des westlichen Himmels ein Widerschein des Rosenfeldes zu sein schien und die Welt in einen Eimer voll Blut verwandelte, der von einer einzigen Stütze getragen wurde, die mitternachtsschwarz vor dem brennenden Horizont aufragte.
    Er hatte sich bei Sonnenuntergang ankommen sehen, weil dies der Zeitpunkt war, an dem der stärker werdende Ruf des Turms schließlich seine Willenskraft überwältigen würde. Er würde hingehen. Daran würde ihn keine Macht der Welt hindern können.
    Aus komm … komm … wurde KOMM … KOMM … und zuletzt KOMM! KOMM! Ihm schmerzte der Kopf davon. Und er sehnte sich gleichzeitig danach. Er merkte immer wieder, wie er sich kniend aufrichtete, und zwang sich dann dazu, sich mit dem Rücken zur Pyramide zurücksinken zu lassen.
    Patrick beobachtete ihn zunehmend ängstlich. Der Junge war teilweise oder ganz immun gegen diesen Ruf – darüber war Roland sich im Klaren –, aber er wusste, was zu geschehen drohte.
     
     

5
     
    Nach Rolands Schätzung waren sie ungefähr eine Stunde lang festgenagelt gewesen, als der König es mit einem weiteren Paar Schnaatze versuchte. Dieses Mal flogen sie auf beiden Seiten der Pyramide vorbei, drehten fast augenblicklich ein und kamen mit sechs, sieben Meter Abstand herangerast. Roland schoss den rechten Schnaatz ab, nahm einen Zielwechsel nach links vor und holte auch den anderen herunter. Die zweite Detonation war so nahe, dass er einen warmen Windstoß im Gesicht spürte, aber zum Glück gab es keine Splitter; wenn die Dinger einmal detonierten, zerlegten sie sich anscheinend restlos.
    »VERSUCH’S NOCH MAL!«, rief er. Seine Kehle war jetzt rau und trocken, aber er wusste, dass seine Worte beim Adressaten ankamen – die Luft über dem Rosenfeld schien für eine solche Kommunikationsart wie geschaffen zu sein. Zudem wusste er, dass jedes Wort ein Dorn im Fleisch des alten Wahnsinnigen war. Aber er hatte mit eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Ruf des Turms wurde immer stärker.
    »KOMM, REVOLVERMANN!«, lockte die Stimme des Wahnsinnigen. »VIELLEICHT LASSE ICH DICH SOGAR UNBEHELLIGT! DARÜBER KÖNNTEN WIR DOCH WENIGSTENS PALAVERN, NICHT WAHR?«
    Zu seinem Entsetzen glaubte Roland, aus dieser Stimme eine gewisse Aufrichtigkeit herauszuhören.
    Ja, dachte er. Und es gibt Kaffee. Vielleicht sogar etwas zum Knabbern dazu.
    Er zog mit zitternden Fingern seine Taschenuhr heraus und ließ den Deckel aufspringen. Die Zeiger liefen hastig rückwärts. Er lehnte sich an die Pyramide und schloss die Augen, aber das war noch schlimmer. Der Ruf des Turms
    (komm, Roland, komm, Revolvermann, commala-come-come, die Reise ist jetzt getan)
    war lauter, drängender als je zuvor. Er öffnete die Augen wieder und sah zu dem unversöhnlich blauen Himmel und den Wolken auf, die in einer langen Reihe dem Turm am Ende des Rosenfeldes zustrebten.
    Und die Folter ging weiter.
     
     

6
     
    Er hielt eine weitere Stunde durch, während die Schatten der Büsche und der in der Nähe der Pyramide wachsenden Rosen länger wurden, und hoffte wider besseres Wissen, dass ihm etwas einfallen würde, dass er einen zündenden Einfall haben würde, der ihn davor

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