Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
dass die Uhr ganz stehen geblieben war. Ich kann euch sagen, dass er am Mittag des folgenden Tages abermals auf die Uhr sah und feststellte, dass sie wieder in richtiger Richtung zu laufen begonnen hatte – wenn auch nur sehr langsam. Von Patrick kann ich euch sonst allerdings nichts erzählen – nicht ob er den Außenposten erreichte, nicht ob er den ehemaligen Stotter-Bill fand, nicht ob er irgendwann auf die Amerika-Seite zurückkehrte. Von alledem kann ich euch nichts erzählen, tut mir Leid. Hier verbirgt die Dunkelheit ihn vor meinem Erzählerauge, und er muss allein weitergehen.
Epilog
S USANNAH IN N EW Y ORK
Susannah in New York
(E PILOG )
Niemand erschrickt, als der kleine Elektrokarren Stück für Stück aus dem Nichts gleitet, bis er sich ganz hier im Central Park befindet; niemand sieht das außer uns. Die meisten Anwesenden blicken nach oben, wo die ersten Flocken, aus denen ein gewaltiger vorweihnachtlicher Schneesturm entstehen wird, von dem weißen Himmel herabwirbeln. Der Blizzard von 87, so werden die Zeitungen ihn nennen. Die Parkbesucher, die nicht den Flockenwirbel beobachten, hören den Weihnachtssängern zu, die aus einer städtischen Schule in Harlem kommen. Sie tragen entweder dunkelrote Blazer (die Jungen) oder dunkelrote Trägerröcke (die Mädchen). Es ist der Harlem School Choir, den die Post und ihr Konkurrenzblatt, die New York Sun, manchmal The Harlem Roses nennen. Sie singen ein altes Kirchenlied mit prachtvoller Doo-wop-Begleitung, schnalzen mit den Fingern, während sie sich durch die Strophen hindurcharbeiten, und verwandeln das Ganze in etwas, was fast wie ein früher Song der Spurs, Coasters oder Dark Diamonds klingt. Sie stehen nicht allzu weit von dem Gehege entfernt, in dem die Eisbären ihr Stadtleben leben, und das Lied, das sie singen, heißt »What Child Is This«.
Einer von denen, die in den Flockenwirbel hinaufblicken, ist ein Mann, den Susannah gut kennt, und ihr Herz macht bei seinem Anblick einen Freudensprung. In der linken Hand hält er einen großen Pappbecher, und sie ist sich sicher, dass er heiße Schokolade enthält, die gute Art mit Schlag.
Im Augenblick ist sie jedoch nicht imstande, die Steuerorgane ihres kleinen Karrens, der aus einer anderen Welt stammt, zu berühren. Alle Gedanken an Roland und Patrick sind verflogen. Sie kann nur an Eddie denken – Eddie, der hier und jetzt vor ihr steht, Eddie, der wieder lebt. Und wenn dies nicht die Fundamentale Welt ist, nicht ganz, was macht das schon? Wenn die Co-Op City in Brooklyn (oder sogar in Queens!) liegt und Eddie keinen Buick Electra, sondern einen Takuro Spirit fährt, was ist dabei? Es spielt keine Rolle. Nur etwas anderes würde eine spielen, und diese Frage hält sie zunächst davon ab, den Gasgriff zu drehen, um zu ihm hinüberzurollen.
Was ist, wenn er sie nicht erkennt?
Was ist, wenn er sich umdreht und nichts sieht als eine obdachlose schwarze Lady auf einem Elektrokarren, dessen Akkus bald restlos erschöpft sein werden – eine schwarze Lady ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Adresse (nicht in diesem Wo und Wann, sage danke-sai) und ohne Beine? Eine obdachlose schwarze Lady, die in keinerlei Beziehung zu ihm steht? Oder was ist, wenn er sie irgendwo ganz weit im Hintergrund seines Verstandes zwar kennt, aber trotzdem so vollständig verleugnet, wie Petrus einst Christus verleugnet hat, und zwar deshalb, weil die Erinnerung zu schmerzlich ist?
Noch schlimmer: Was ist, wenn er sich ihr zuwendet und sie den ausgebrannten, verwirrten, leeren Blick eines alten Junkies sieht? Was ist, was ist, und hier fällt der Schnee, der bald die ganze Welt in Weiß hüllen wird.
Hör mit deinem Gejammer auf und geh zu ihm, fordert Roland sie auf. Du hast nicht Blaine den Mono und die Taheen des Blauen Himmels und das Ding unter Schloss Discordia überlebt, um jetzt kehrtzumachen und wegzulaufen, oder nicht? Dafür hast du doch viel zu viel Mumm.
Aber sie ist sich dessen nicht ganz sicher, bis sie ihre Hand nach dem Gasgriff greifen sieht. Bevor sie ihn jedoch drehen kann, spricht der Revolvermann nochmals zu ihr – diesmal in leicht amüsiertem Ton.
Gibt’s da nicht vielleicht etwas, was du zuvor loswerden willst, Susannah?
Sie blickt an sich herab und sieht Rolands Revolver in ihrem Schulterriemen stecken wie die pistola eines mexikanischen bandido oder das Entermesser eines Piraten. Sie zieht ihn heraus und staunt darüber, wie gut er sich in ihrer Hand
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