Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
gegeben, und als Cuthbert gefallen war, hatte Roland sich gerade noch die Zeit genommen, sich zu bücken und es wieder aufzuheben, bevor er den Todesstaub jenes Hügels von seinen Stiefeln geschüttelt hatte.
Dies ist dein Sigul, flüsterte die verhallende Stimme, die süßen Rosenduft, den Geruch der Heimat – o verloren! – an einem Sommerabend, mit sich brachte: ein Stein, eine Rose, eine nichtgefundene Tür; ein Stein, eine Rose, eine Tür.
Dies ist dein Versprechen, dass die Dinge sich, anders entwickeln können – dass es vielleicht eine Rast geben wird. Sogar Erlösung.
Eine Pause, und dann:
Wenn du standhaft bist. Wenn du wahrhaftig bist.
Er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, überlegte, ob er noch einen Schluck Wasser nehmen sollte, kam aber davon ab. Heute Abend. Wenn er sein Lagerfeuer auf Walters Knochen entzündete. Dann würde er trinken. Vorerst jedoch …
Vorerst würde er seine Wanderung fortsetzen. Irgendwo in weiter Ferne stand der Dunkle Turm. Näher jedoch, viel näher, war der Mensch (war er ein Mensch? war es wirklich einer?), der ihm vielleicht sagen konnte, wie man dorthin kam. Roland würde ihn einholen, und wenn er das tat, würde dieser Mann auspacken … aye, ja, yar, so soll es über Berge und Täler hallen: Walter würde gefangen werden, und Walter würde reden. Roland berührte nochmals das Horn, und dessen Vorhandensein war eigenartig tröstlich, so als hätte er es nie zuvor berührt.
Zeit, sich weiterzubewegen.
Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.
19. Juni 1970 – 7. April 2004
Sage Gott meinen Dank.
A NHANG
Robert Browning
»H ERR R OLAND KAM ZUM FINSTERN T URM .«
König Lear III 4.
I
Zuerst durchfuhr mich’s: Lug ist, was er spricht,
Der weißgeharrte Krüppel, dessen Blicke
Voll Bosheit schielen, ob die Lüge glücke;
Wie zuckt der falsche Mund, als trüg’ er’s nicht
Den Hohn zu hehlen, der verdammte Wicht,
Ob diesem neuen Opfer seiner Tücke!
II
Wozu stand er mit seinem Stab sonst da,
Als daß er allen Wandrern Schlingen lege,
Die gläubig ihn befragt um Pfad’ und Stege?
Sein schädelgleiches Lachen hört’ ich, sah
Im Geist die Krücke meine Grabschrift, ha!
Kritzeln, zum Zeitvertreib, im staub’gen Wege,
III
Wenn ich nach seinem Wort mich seitwärts wandte,
Zu dem verrufnen Ort, des Wüstenei
Den finstern Turm umschloß. Doch sonder Scheu
Ritt ich, wohin er wies, und in mir brannte
Nicht Stolz noch Hoffnung, da er mich entsandte,
Nur Freude, daß ein Ziel mir nahe sei.
IV
Zog ich durch Jahre doch die Welt entlang
Und hatte nie, was ich gesucht, gefunden.
Mein Hoffen war zum Schatten hingeschwunden,
Dem lauter Siegesjubel fremd erklang:
So duldet’ ich’s, daß Lust mein Herz, durchdrang,
Als ihm am Ziel sich zeigten Tod und Wunden.
V
Wie wenn ein Kranker an dem letzten Tag
Lebwohl den Freunden sagt mit Mund und Händen
Und tot erscheint und fühlt, die Thränen enden,
Und hört, wie einer all’ aus dem Gemach
Hinausweist, frei zu atmen, da den Schlag,
Der niederfiel, kein Jammer mehr kann wenden.
VI
Und man berät schon, ob bei seinen Ahnen
Noch Raum für ihn sei, wann denn toten Leibe
Bestattung werd’, und ob man’s rasch betreibe;
Von Kränzen spricht man, Schleifen, Trauerfahnen –
Und er vernimmt’s und fleht, daß er die Bahnen
Solch zarter Lieb’ nicht kreuz’– und leben bleibe.
VII
So war auf dieser Leidensfahrt so lange
Ich umgeirrt, so oft schon war Misslingen
Mir prophezeit gleich allen, die zu dringen
Zum finstern Turm versucht in heißem Drange,
Daß fest ins Aug’ ich sah dem Untergange,
Könnt’ ich den Tod der Helden nur erringen.
VIII
Still wie Verzweiflung schaut’ ich nicht zurück,
Zum Pfad einlenkend, nach des Zwergs Grimasse.
Schon neigte sich der Tag, der trübe, blasse,
Dem Ende zu, doch kündend Mißgeschick,
Schoß er noch einen grimmen roten Blick
Zum Blachfeld, ob es fest sein Opfer fasse.
IX
Doch als mein Roß ein-, zweimal ausgeschritten
Und ich mein Heil dem Blachfeld sah verpfändet,
Da hob’ ich einmal noch den Blick gewendet
Zur sichern Straße, drauf ich hergeritten:
Ich fand sie nicht. In grauer Ebne Mitten
Hielt ich, und jedes Zaudern war verschwendet:
X
Ich mußte vorwärts. Nie noch sah mein Aug
So ärmlich, sonder Adel die Natur:
Nicht Baum noch Blume sog hier Nahrung, nur
Trespen und Wolfsmilch und
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