Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
das nicht, aber trotzdem keine leichte Aufgabe. Diese Kerle haben geraubt, was zu rauben war, nicht nur in Debaria, sondern im gesamten Ranchland hier draußen. Sie haben auch Züge überfallen, wenn sie erfahren haben, dass es sich lohnen könnte. Aber ihre Spezialität waren Entführungen, um dann Lösegeld zu erpressen. Ein feiges Verbrechen, gewiss – auch von Farson bevorzugt, wie ich höre –, aber offenbar sehr lohnend.
Nur einen Tag nachdem sie Belinda Doolin, die Frau eines Ranchers, entführt hatten, ist Euer Da’ hier aufgekreuzt. Ihr Mann, den sie gefesselt zurückgelassen hatten, hat mit dem Klingeling angerufen, sobald er sich befreien konnte. Von seinem Klingeling wussten die Crows nichts – und das war ihr Verderben. Natürlich war es auch hilfreich gewesen, dass gerade ein Revolvermann in unserer Gegend unterwegs war; damals hatten sie ein besonderes Talent dafür, genau dort aufzukreuzen, wo sie gebraucht wurden.« Er betrachtete Jamie und mich. »Vielleicht besitzen sie das ja weiterhin. Jedenfalls, wir haben die Ranch erreicht, als die Fährte noch frisch war. An manchen Stellen hätte sie jeder von uns verloren – das Gebiet nördlich von hier ist ziemlich felsig, wisst Ihr –, aber Euer Vater hatte unglaublich gute Augen. Mit ihm konnte kein Habicht, auch kein Adler konkurrieren.«
Ich wusste, dass mein Vater scharfe Augen hatte und ein überragender Fährtensucher war. Ich wusste auch, dass diese Geschichte wahrscheinlich nichts mit unserem Auftrag zu tun hatte, und hätte ihn auffordern sollen, zur Sache zu kommen. Aber mein Vater sprach nie über seine jungen Jahre, und ich wollte diese Geschichte hören. Ich dürstete geradezu danach. Und wie sich zeigte, hatte sie etwas mehr mit unserem Auftrag in Debaria zu tun, als ich ursprünglich gedacht hatte.
»Die Fährte hat zu den Bergwerken geführt – zu den Salzhäusern, wie die Bürger von Debaria dazu sagen. Den Abbau hatte man damals schon eingestellt; dabei ist’s geblieben, bis vor zwanzig Jahren der neue Stock entdeckt wurde.«
»Stock?«, fragte Jamie.
»Lagerstätte«, sagte ich. »Er meint eine neue Salzlagerstätte.«
»Aye, genau das mein ich. Aber damals waren die verlassenen Bergwerke ein wunderbares Versteck für die verfluchten Crows. Aus der Ebene hat die Fährte durch hohes Felsengelände geführt, um so die Niedere Reine – das heißt, die grünen Hügel unterhalb der Salzhäuser – zu erreichen. Die Niedere Reine ist das Gebiet, in dem vor Kurzem ein Schäfer umgebracht worden ist – von etwas, was wie ein …«
»Wie ein Wolf ausgesehen hat«, sagte ich. »Das wissen wir schon. Bitte weiter.«
»Ihr wisst gut Bescheid, was? Nun, das ist nur recht. Wo war ich also? Ah, ich weiß – diese Felsen sind hierzulande jetzt als Schlucht des Hinterhalts bekannt. Sie bilden keine richtige Schlucht, aber der Klang gefällt den Leuten, glaub ich. Die Fährte hat dort hineingeführt, aber Deschain wollte die Schlucht umgehen und im Osten abriegeln. Von der Oberen-Reine-Seite aus. Aber davon wollte der Sheriff, das war damals Pea Anderson, nichts hören. Er war fuchsteufelswild, das war er, und wollte den Crows unbedingt auf den Fersen bleiben. Die Umgehung würde drei Tage kosten, hat er gesagt, und bis dahin könnten die Frau tot und die Crows irgendwohin geflüchtet sein. Er wollte weiter der Fährte folgen und hat gesagt, er würde es auch allein tun, wenn niemand mitkommt. ›Außer Ihr befehlt mir im Namen Gileads, etwas anderes zu tun‹, sagt er zu Eurem Da’.
›Käme mir nicht in den Sinn‹, sagt Deschain. ›Debaria ist Euer Revier; ich habe mein eigenes.‹
Der ganze Trupp ist mitgeritten. Nur ich bin bei Eurem Da’ geblieben, mein Junge. Sheriff Anderson hat sich im Sattel nach mir umgedreht und gesagt: ›Hoffentlich stellen sie auf irgendeiner Ranch gerade Leute ein, Hughie, deine Tage mit ’nem Stern auf der Weste sind nämlich vorbei. Mit dir bin ich fertig.‹
Das waren die letzten Worte, die er in seinem Leben zu mir gesagt hat. Sie sind davongeritten. Steven von Gilead hat sich hingehockt, und ich hab’s ihm nachgemacht. Nach einem ungefähr halbstündigen Schweigen – vielleicht war’s auch länger – sag ich zu ihm: ›Ich dachte, wir wollten außen herumreiten … Oder habt auch Ihr mich entlassen?‹
›Nein‹, sagt er. ›Mir steht es nicht zu, Euch zu entlassen, Hilfssheriff.‹
›Worauf warten wir dann?‹
›Schüsse‹, sagt er, und keine fünf Minuten später hörten wir
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