Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
als er durch die Tür sah, wurde ihm der Grund dafür klar: Obwohl er nach unten sah – vertikal –, sah er horizontal. Wie eine seltsame optische Täuschung, die mit Prismen und Spiegeln bewerkstelligt wurde. Dann sah er Jake, der den mit Glasscherben und Mörtel übersäten Flur entlanggezogen wurde – seine Ellbogen schleiften am Boden, und eine gigantische Hand drückte seine Knöchel zusammen. Und er sah das monströse Maul, das Jake erwartete und aus dem weißer Dunst quoll, bei dem es sich um Rauch oder Staub handeln konnte.
»Roland!« schrie Eddie. »Roland, es hat i…«
Dann wurde er zur Seite geschleudert.
40
Susannah merkte, daß sie emporgehoben und herumgewirbelt wurde. Die Welt verschwamm wie auf dem Karussell zu Schlieren; aufrechte Steine, grauer Himmel, hagelübersäter Boden… und ein rechteckiges Loch, das wie eine Falltür im Boden aussah. Schreie ertönten darin. Der Dämon in ihr stieß und zuckte; er wollte nur noch fort, konnte es aber nicht, solange sie ihn nicht ließ.
»Jetzt!« schrie Roland. »Laß ihn jetzt gehen, Susannah! Bei deinem Vater, laß ihn SOFORT gehen!«
Sie gehorchte.
Sie hatte (mit Dettas Hilfe) in ihrem Verstand eine Falle für ihn geschaffen, so etwas wie ein Netz aus geflochtenen Seilen, und jetzt schnitt sie diese Seile durch. Sie spürte, wie der Dämon sofort von ihr wich, und erlebte einen Augenblick schrecklicher Leere. Dieses Gefühl wurde freilich gleich darauf durch die grimmige Empfindung von Ekel und Besudelung verdrängt.
Als die unsichtbare Last von ihr abfiel, erblickte sie ihn kurz – eine nichtmenschliche Gestalt wie ein Mantarochen mit gewaltigen, angelegten Schwingen und etwas wie einem grausamen Angelhaken, der unten von ihm abstand. Sie sah/spürte, wie das Ding zu dem offenen Loch im Boden sauste. Sah Eddie mit aufgerissenen Augen aufschauen. Sah Roland die Arme ausbreiten, um den Dämon zu ergreifen.
Der Revolvermann taumelte rückwärts und wurde vom unsichtbaren Gewicht des Dämons fast von den Füßen gerissen. Dann beugte er sich mit einem Armvoll Nichts wieder nach vorne.
Er umklammerte dieses Nichts fest, sprang durch die Tür und verschwand.
41
Plötzlich strömte weißes Licht in den Flur der Villa; Hagelkörner prasselten gegen die Wände und auf die gesprungenen Bodendielen. Jake hörte wirre Schreie, dann sah er den Revolvermann durchkommen. Aber er schien zu springen, als käme er von oben. Die Arme hielt er vor sich, die Fingerspitzen ineinander verhakt.
Jake spürte, wie seine Füße ins Maul des Torwächters rutschten.
»Roland!« schrie er. »Roland, hilf mir!«
Der Revolvermann löste die Finger, und sofort wurden seine Arme auseinandergedrückt. Er taumelte rückwärts. Jake spürte, wie scharfkantige Zähne seine Beine berührten und bereit waren, Fleisch zu reißen und Knochen zu zermalmen, und dann sauste etwas Großes wie ein Windstoß über seinen Kopf hinweg. Einen Augenblick später waren die Zähne fort. Die Hand, die seine Füße zusammengepreßt hatte, ließ los. Er hörte, wie ein unirdischer Schrei der Überraschung und Qual aus dem staubigen Maul des Torwächters drang, dann wurde dieser gedämpft, erstickt.
Roland packte Jake und zerrte ihn auf die Füße.
»Du bist gekommen!« rief Jake. »Du bist wirklich gekommen!«
»Ja, ich bin gekommen. Durch die Barmherzigkeit der Götter und den Mut meiner Freunde ist es mir gelungen.«
Als der Torwächter wieder brüllte, brach Jake in Tränen der Erleichterung und Angst aus. Jetzt hörte sich das Haus wie ein Schiff an, das in schwerem Seegang schlingert. Bruchstücke von Holz und Mörtel regneten um sie herum herab. Roland riß Jake hoch und rannte mit ihm zur Tür. Die Mörtelhand, die wild um sich tastete, erwischte einen Stiefel von ihm und schleuderte ihn gegen die Wand, die wieder zu beißen versuchte. Roland warf sich vorwärts, drehte sich um und zog den Revolver. Er feuerte zweimal in die unablässig um sich schlagende Hand; einer der ungeschlachten Mörtelfinger verdampfte. Hinter ihnen war das Gesicht des Torwächters purpurn angelaufen, als würde er an etwas ersticken – etwas, das so schnell geflohen war, daß es ins Maul des Monsters geriet und, ehe es sich versah, dort steckenblieb.
Roland drehte sich wieder herum und sprang durch die Tür. Obwohl keine sichtbare Barriere da war, wurde er einen Moment aufgehalten, als wäre ein unsichtbares Netz vor die Tür gespannt worden.
Dann spürte er Eddies Hände in
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