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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gekippt wäre.
     
     

33
     
    Zwei Frauen standen unter der Tür des Secondhandladens auf der anderen Straßenseite gegenüber der Villa. Die ältere war die Besitzerin, die jüngere war ihre einzige Kundin. Als der Lärm brechender Balken und einstürzender Wände einsetzte, schlang jede, ohne es zu bemerken, die Arme um die Hüften der anderen; so blieben sie stehen, zitternd wie Kinder, die ein Geräusch in der Dunkelheit hören.
    Ein Stück weiter oben an der Straße starrten drei Jungs auf dem Weg zum Spielfeld der Jugendliga die Villa mit offenen Mündern an; den Red-Ball-Flyer-Wagen mit der Baseballausrüstung hinter sich hatten sie vergessen. Ein Lieferant parkte seinen Laster am Straßenrand und stieg staunend aus. Die Besitzer von Henry’s Corner Market und dem Dutch Hill Pub kamen auf die Straße gestürzt und sahen sich panisch um.
    Jetzt fing der Boden an zu beben, und ein Netz feiner Risse schien sich über die Rhinehold Street zu ziehen.
    »Ist es ein Erdbeben?« rief der Lieferant den beiden Frauen vor dem Secondhandladen zu, aber statt auf eine Antwort zu warten, sprang er wieder in den Wagen, fuhr rasch weiter und scherte sogar auf die Gegenfahrbahn aus, damit er der Villa nicht zu nahe kam, die das Epizentrum des Bebens zu sein schien.
    Das ganze Haus wölbte sich nach innen. Bretter splitterten, schnellten von der Fassade weg und fielen in den Garten. Schmutzige, grauschwarze Wasserfälle von Schindeln regneten von den Erkern herab. Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, dann bildete sich ein zickzack-förmiger Riß durch die gesamte Mitte der Villa. Die Tür verschwand darin, und dann wurde das ganze Haus von außen nach innen verschluckt.
    Die jüngere Frau befreite sich plötzlich aus dem Griff der älteren. »Ich verschwinde von hier«, sagte sie und lief die Straße entlang, ohne sich noch einmal umzudrehen.
     
     

34
     
    Ein heißer, merkwürdiger Wind wehte mit einemmal den Flur entlang und blies Jake das schweißnasse Haar aus der Stirn, während seine Finger sich um den silbernen Schlüssel verkrampften. Er begriff jetzt auf einer instinktiven Ebene, was dieses Haus war und was gerade stattfand. Der Torwächter war nicht einfach in dem Haus, er war das Haus: jedes Brett, jede Schindel, jeder Fenstersims, jeder Erker. Und jetzt drängte er vorwärts und wurde dabei zu einer irren, gehackstückelten Repräsentation seiner wahren Gestalt. Er wollte Jake packen, bevor dieser den Schlüssel benützen konnte. Hinter dem gigantischen weißen Kopf und der verkrümmten, buckligen Schulter flogen Bretter und Schindeln und Kabel und Glasscherben – sogar von der Eingangstür und dem eingestürzten Geländer – durch die Diele in den Ballsaal, vereinigten sich mit der Gestalt dort und schufen mehr und mehr von dem mißgestalteten Mörtelmann, der jetzt die ungeschlachte Hand nach Jake ausstreckte.
    Jake zog seine Hand aus dem Spalt im Boden und sah, daß sie von großen, krabbelnden Käfern bedeckt war. Er schlug gegen die Wand, um sie abzuschütteln, und schrie auf, als sich die Wand auftat und dann versuchte, sich um sein Handgelenk zu schließen. Er konnte die Hand gerade noch rechtzeitig herausziehen, wirbelte herum und rammte den silbernen Schlüssel ins Schlüsselloch.
    Der Mörtelmann brüllte wieder, aber sein Schrei wurde vorübergehend von einem harmonischen Ruf übertönt, den Jake kannte: Er hatte ihn auf dem Brachgrundstück gehört, doch damals war er leise gewesen, möglicherweise träumend. Jetzt war es ein schallender Triumphschrei. Das Gefühl der Sicherheit – überwältigend, unbestreitbar – erfüllte Jake wieder, und diesmal war er gewiß, er würde nicht enttäuscht werden. Er hörte die Ermutigung, die er brauchte, aus dieser Stimme heraus. Es war die Stimme der Rose.
    Das düstere Licht im Flur wurde vollends verdunkelt, als die Mörtelhand die andere Schiebetür wegriß und sich in den Flur zwängte. Das Gesicht quetschte sich an die Öffnung über der Hand und betrachtete Jake. Die Mörtelfinger krabbelten auf ihn zu wie die Beine einer Riesenspinne.
    Jake drehte den Schlüssel herum und spürte, wie ein Energiestrom seinen Arm entlangfloß. Er hörte ein schweres, gedämpftes Pochen, als der Riegel drinnen zurückschnappte. Er packte den Knauf und drehte und riß die Tür auf. Diese schwang zurück. Jake schrie verwirrt und entsetzt auf, als er sah, was dahinter lag.
    Der Durchgang war mit Erde versperrt – von oben bis unten, von rechts bis links. Wurzeln

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