Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
konnte hören, wie er beim Schnüffeln Ake-Ake! Ake-Ake! murmelte. Roland zog den Revolver und folgte ihm.
27
Eddie und Susannah sahen an den riesigen Mauern von Blaines Krippe empor, als der Himmel sich auftat und es in Strömen zu regnen anfing.
»Ein prachtvolles Gebäude, aber sie haben die Behindertenrampen vergessen!« brüllte Eddie, damit sie ihn über Regen und Donner hinweg verstand.
»Vergiß das«, sagte Susannah ungeduldig und schlüpfte aus dem Rollstuhl. »Gehen wir da rauf und aus dem Regen raus.«
Eddie sah zweifelnd die Stufen hinauf. Sie waren flach… aber es waren viele. »Bist du sicher, Suze?«
»Geh schon voraus, weißer Junge«, sagte sie und schlängelte sich mit unheimlichem Geschick nach oben, wobei sie Hände, Unterarme und die Beinstümpfe benützte.
Und sie hätte ihn fast geschlagen; Eddie mußte sich um die Last aus Eisen kümmern, die ihn aufhielt. Beide waren außer Atem, als sie oben ankamen; Dampf stieg von ihrer nassen Kleidung auf. Eddie ergriff sie unter den Armen, zog sie hoch und hielt sie dann einfach mit am Po verschränkten Händen fest, statt sie wieder in den Rollstuhl zu setzen, wie er vorgehabt hatte. Er war geil und halb von Sinnen, ohne zu wissen warum.
Ach, hör auf, dachte er. Du bist so weit gekommen und lebst noch; das hat deine Drüsen aufgepumpt und in Partylaune versetzt.
Susannah leckte sich die Unterlippe und vergrub die kräftigen Finger in seinem Haar. Sie zog. Es tat weh… und gleichzeitig war es herrlich. »Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich dich schlage, weißer Junge«, sagte sie mit leiser, heiserer Stimme.
»Verschon’ mich – ich hab’ dich geschafft… um einen halben Schritt.« Er versuchte, sich nicht so atemlos anzuhören, wie er war, und stellte fest, daß es ihm nicht gelang.
»Vielleicht… aber jetzt bleibt dir die Puste weg, was?« Eine Hand ließ sein Haar los, wanderte nach unten und drückte sanft. Ein Lächeln funkelte in ihren Augen. »Aber einer ist nicht außer Puste.«
Donner grollte am Himmel. Sie zuckten zusammen, dann lachten sie beide.
»Komm schon«, sagte er. »Das ist Irrsinn. Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein.«
Sie widersprach nicht, drückte ihn aber noch einmal, bevor sie die Hand wieder auf seine Schulter legte. Eddie verspürte quälendes Bedauern, als er sie wieder in den Rollstuhl setzte und über breite Steinplatten in den Schutz des Daches schob. Er glaubte, in Susannahs Augen dasselbe Bedauern zu sehen.
Eddie blieb stehen und drehte sich um. Der Platz der Krippe, die Straße der Schildkröte und die ganze Stadt dahinter verschwanden zunehmend hinter einem wabernden grauen Vorhang. Was Eddie kein bißchen bedauerte. Lud hatte keinen Eintrag in seinem Notizbuch der Lieblingserinnerungen bekommen.
»Sieh mal«, sagte Susannah. Sie deutete auf eine nahe gelegene Regenrinne, die in einem großen, schuppigen Fischkopf endete, der große Ähnlichkeit mit den Drachenmonstern hatte, welche die Ecken der Krippe zierten. Wasser ergoß sich als silberner Sturzbach aus seinem Maul.
»Das ist nicht nur ein vorübergehender Schauer, richtig?« fragte Eddie.
»Nee. Es wird regnen, bis es des Regnens überdrüssig ist, und dann noch ein bißchen länger, aus bloßer Gemeinheit. Vielleicht eine Woche; vielleicht einen Monat. Nicht, daß es uns kümmern muß, falls Blaine entscheidet, daß ihm unser Aussehen nicht paßt und er uns grillt. Feuer einen Schuß ab, damit Roland weiß, daß wir hier sind, Süße, und dann schauen wir uns um. Mal sehen, was es zu sehen gibt.«
Eddie hielt die Ruger zum grauen Himmel, drückte ab und feuerte den Schuß ab, den Roland eine Meile oder weiter entfernt hörte, während er Jake und Schlitzer durch das Labyrinth voller Fallen folgte. Eddie blieb noch einen Moment stehen, wo er war, und versuchte sich einzureden, daß doch noch alles gut werden konnte, daß sein Herz unrecht hatte, wenn es störrisch darauf bestand, daß sie den Revolvermann und den Knaben Jake zum letztenmal gesehen hatten. Dann sicherte er die Automatik wieder, steckte sie in den Hosenbund und kehrte zu Susannah zurück. Er drehte ihren Rollstuhl von den Stufen weg und rollte sie den Säulengang entlang, der weiter in das Gebäude hineinführte. Sie klappte unterwegs den Zylinder von Rolands Revolver heraus und lud nach.
Unter dem Dach hatte der Regen einen geheimnisvollen, gespenstischen Klang, und selbst das laute Donnergrollen war gedämpft. Die Säulen, die das Gebäude trugen,
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