Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
und Jamie sich einmal auf die Galerie ebendieses Saals geschlichen hatten, um eine Art rituellen Tanz zu beobachten. Jake und Roland hatten die Berge erklommen, Walter dicht auf der Spur, als Roland ihm das erzählt hatte.
Marten saß neben meiner Mutter und meinem Vater, hatte Roland damals gesagt. Das konnte ich selbst von so hoch oben erkennen – und einmal tanzten auch meine Mutter und Marten mit langsamen Drehungen, und die anderen machten ihnen Platz und applaudierten, als der Tanz vorbei war. Von den Revolvermännern klatschte keiner…
Jake sah Roland neugierig an und fragte sich wieder, woher dieser seltsame, distanzierte Mann gekommen war… und warum.
»Ein großes Fass wurde auf den Boden in der Mitte des Saals gestellt«, fuhr Roland fort, »und darauf warf jeder Rätselmeister eine Hand voll Rindenrollen, auf denen die Rätsel geschrieben standen. Viele waren alt – Rätsel, die sie von den Ältesten gelernt hatten –, aber viele waren auch neu – eigens zu diesem Anlass erfunden. Drei Schiedsrichter, darunter immer ein Revolvermann, hörten sie sich an und hießen sie nur dann gut, wenn sie sie für fair erachteten.«
»JA, RÄTSEL MÜSSEN FAIR SEIN«, stimmte Blaine zu.
»Also wurde gerätselt«, sagte der Revolvermann. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, da er an jene Zeiten zurückdachte, als er in dem Alter des geschundenen Jungen war, der ihm nun mit einem Bumbler auf dem Schoß gegenübersaß. »Sie rätselten stundenlang ohne Ende. Eine Reihe wurde in der Mitte des Saals der Großväter gebildet. Die Position in dieser Reihe wurde durch das Los bestimmt, und da es viel besser war, am Ende der Reihe zu stehen als am Anfang, hoffte jeder auf eine hohe Zahl, obwohl der Gewinner mindestens ein Rätsel richtig lösen musste.«
»SELBSTVERSTÄNDLICH.«
»Jeder Mann – oder Frau, denn viele von Gileads besten Rätselmeistern waren nämlich Frauen – näherte sich dem Fass, zog ein Rätsel und reichte es dem Meister. Der Meister stellte es, und falls es dann noch unbeantwortet war, sobald der Sand der Uhr nach drei Minuten durchgelaufen war, musste der Teilnehmer die Reihe verlassen.«
»UND WURDE DEM NÄCHSTEN IN DER REIHE DASSELBE RÄTSEL GESTELLT?«
»Ja.«
»ALSO HATTE DIESER ZUSÄTZLICH ZEIT ZUM NACHDENKEN.«
»Ja.«
»ICH VERSTEHE. KLINGT ZIEMLICH KNORKE.«
Roland runzelte die Stirn. »Knorke?«
»Er meint, es hört sich echt toll an«, sagte Susannah leise.
Roland zuckte die Achseln. »Ich nehme an, den Zuschauern hat es Spaß gemacht, aber die Teilnehmer nahmen es sehr ernst, und wenn der Wettstreit zu Ende und der Preis ausgegeben war, kam es nicht selten zu Streit und Faustkämpfen.«
»WAS WAR DAS FÜR EIN PREIS?«
»Die größte Gans der Baronie. Und Cort, mein Lehrmeister, trug diese Gans jedes Jahr nach Hause.«
»ER MUSS EIN GROSSER RÄTSELMEISTER GEWESEN SEIN«, sagte Blaine ehrfürchtig. »ICH WÜNSCHTE, ER WÄRE HIER.«
Da bist du nicht allein, dachte Roland und sagte dann: »Jetzt komme ich zu meinem Vorschlag.«
»ICH WERDE MIT GROSSEM INTERESSE ZUHÖREN, ROLAND VON GILEAD.«
»Sollen die folgenden Stunden unser Jahrmarkt sein. Du wirst uns keine Rätsel aufgeben, weil du ja neue Rätsel hören möchtest und nicht die Millionen, die du zweifellos schon kennst…«
»KORREKT.«
»Wir könnten die meisten sowieso nicht lösen«, fuhr Roland fort. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du sogar Rätsel kennst, die selbst Cort überfordert hätten, wären sie aus dem Fass gezogen worden.« Dessen war er sich zwar keineswegs sicher, aber die Zeit der Faust war vorbei; es war Zeit, die offene Handfläche darzubieten.
»GEWISS«, stimmte Blaine zu.
»Ich schlage vor, anstelle einer Gans soll unser aller Leben der Preis sein«, sagte Roland. »Wir stellen dir die Rätsel, während wir fahren, Blaine. Wenn du jedes einzelne gelöst hast, bis wir in Topeka sind, darfst du deinen ursprünglichen Plan in die Tat umsetzen und uns töten. Das ist deine Gans. Aber wenn wir dich besiegen – wenn wir ein Rätsel in Jakes Buch oder unseren Köpfen finden, das du nicht kennst und nicht beantworten kannst –, dann musst du uns nach Topeka bringen und uns freilassen, damit wir unsere Suche fortsetzen können. Das ist unsere Gans.«
Schweigen.
»Hast du gehört?«
»JA.«
»Bist du einverstanden?«
Blaine der Mono schwieg wieder. Eddie hatte einen Arm um Susannah geschlungen, saß starr da und sah zur Decke der Baronskabine hoch. Susannah strich sich mit der linken Hand
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