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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ich von jetzt an hierher komme, wird es sein wie… nun…
    Wie Kastell. Als würde man Kastell spielen.
    Thorin sah sie noch für einen Moment an. Langsam, wie ein Mann in einem Traum, zog er den Saum seines bauschigen weißen Hemds aus der Hose und ließ es wie einen Rock herunterhängen, damit es den feuchten Fleck verdeckte. Sein Kinn glänzte; er hatte in seiner Erregung gesabbert. Er schien es zu spüren und wischte die Nässe mit einem Handrücken ab, während er sie ununterbrochen mit diesen leeren Augen ansah. Dann kam endlich wieder Leben in sie, und er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ das Zimmer.
    Ein leises, raschelndes Poltern ertönte, als er auf dem Flur offenbar mit jemandem zusammenstieß. Susan hörte ihn »Tut mir Leid« murmeln (eine deutlichere Entschuldigung, als er ihr gegönnt hatte, gemurmelt oder nicht), und dann betrat Conchetta wieder das Zimmer. Den Stoff, den sie holen gegangen war, hatte sie sich wie eine Stola um die Schultern drapiert. Sie bemerkte Susans blasses Gesicht und die tränenüberströmten Wangen sofort. Sie wird nichts sagen, dachte Susan. Keiner wird etwas sagen, ebenso wenig, wie jemand einen Finger rühren wird, um mich von dem Pflock zu holen, mit dem ich mich selbst aufgespießt habe. »Du hast ihn selbst gespitzt, Feinsliebchen«, würden sie sagen, wenn ich um Hilfe rufen würde, und das wäre ihre Ausrede, um mich weiter zappeln zu lassen.
    Aber Conchetta hatte sie überrascht. »Das Leben ist hart, Missy, das ist es. Am besten gewöhnst du dich daran.«
     
     

5
     
    Susans Stimme – trocken, mittlerweile bar jeglicher Gefühlsregung – verstummte endlich. Tante Cord legte ihr Strickzeug beiseite, stand auf und setzte den Wasserkessel auf, um Tee zu machen.
    »Du übertreibst, Susan.« Sie sagte es mit einer Stimme, die sich bemühte, gütig und weise zugleich zu klingen, aber keines davon bewerkstelligte. »Das ist eine Eigenschaft, die du von deiner Manchester-Seite hast – zur Hälfte haben sie sich für Dichter gehalten, zur Hälfte haben sie sich für Maler gehalten, und fast alle waren jede Nacht zu betrunken zum Stepptanzen. Er hat deine Tittchen begrapscht und dich trocken gerammelt, das ist alles. Kein Grund, so aus dem Häuschen zu geraten. Und ganz gewiss kein Grund für schlaflose Nächte.«
    »Woher willst du das wissen?«, sagte Susan. Das war eine respektlose Frage, aber das kümmerte sie nicht. Sie glaubte, sie hätte einen Punkt erreicht, an dem sie alles von ihrer Tante ertragen konnte, nur nicht diesen herablassenden, weltklugen Ton. Der tat ihr weh wie eine frische Schürfwunde.
    Cordelia zog eine Braue hoch, antwortete aber ohne Missstimmung. »Wie es dir gefällt, mir das vorzuhalten! Tante Cordelia, der trockene alte Stecken. Tante Cord, die alte Jungfer. Tante Cord, die grauhaarige Jungfrau. Aye? Nun, Miss O So Jung Und Hübsch, ich mag eine Jungfrau sein, aber ich hatte auch einen oder zwei Liebhaber, als ich jung war… bevor die Welt sich weiterbewegt hat, könnte man sagen. Möglicherweise war ja einer davon der große Fran Lengyll.«
    Vielleicht aber auch nicht, dachte Susan; Fran Lengyll war mindestens fünfzehn Jahre älter als ihre Tante, vielleicht sogar fünfundzwanzig.
    »Ich habe auch ein- oder zweimal den Bock des guten alten Tom von hinten gespürt, Susan. Aye, und von vorn auch.«
    »Und war einer dieser Liebhaber sechzig, mit schlechtem Atem und Knöcheln, die knackten, wenn er deine Tittchen drückte, Tante? Hat einer davon versucht, dich durch die nächste Wand zu hämmern, wenn der gute alte Tom anfing, mit seinem Bart zu wackeln und Mäh-mäh-mäh sagte?«
    Die Wut, mit der sie gerechnet hatte, blieb aus. Was stattdessen kam, war jedoch schlimmer – ein Ausdruck, welcher der Leere, die sie im Spiegel auf Thorins Gesicht gesehen hatte, ziemlich nahe kam. »Geschehen ist geschehen, Susan.« Ein Lächeln, kurzlebig und grässlich, huschte wie ein Lidschlag über das schmale Gesicht ihrer Tante. »Geschehen ist geschehen, aye.«
    In einer Art von Entsetzen schrie Susan: »Mein Vater hätte das alles gehasst! Hätte es gehasst! Und er hätte dich gehasst, weil du es zulässt! Weil du es auch noch unterstützt!«
    »Schon möglich«, sagte Tante Cord, und das grässliche Lächeln blitzte wieder auf. »Schon möglich. Aber was hätte er noch mehr gehasst? Die Ehrlosigkeit eines gebrochenen Versprechens, die Schande eines treulosen Kindes. Er würde wollen, dass Sie es tut, Susan. Wenn Sie sich an sein

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