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Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Titel: Der Durchblicker: Novelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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Welches meinen Sie? Das gelbe Chiffonkleid oder den Traum in Dunkelblau? frage ich und verdrehe die Augen.
    – Ich meine es bitter ernst, informiert Gleaves mich düster; er klingt wie ein Charakter aus ner bourgeoisen Seifenoper. Mann, zieht der ne Show ab.– Herrje, Brian, Ihr Arsch hängt Ihnen aus der Hose.
    Das stimmte. Meine lila Unterhose war deutlich zu sehen. Ich fror mir den Arsch ab. Mein Schwanz und meine Eier schrumpften zusammen. Bis zum Monatsende würden sie sich zu ner Möse eingestülpt haben. Beim nächsten Gehaltsscheck war Carnaby Street angesagt. Ganz so leichtgeschürzt sollte ich doch nicht gehen.
    – Tja, wenigstens können Sie, wenn ich berühmt bin, mit Recht behaupten, mich schon gekannt zu haben, als mir noch der Arsch aus der Hose hing.
    – Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Ernst der Lage erfassen …
    – Okay, okay. Es ist gesund, wenn die Luft zirkulieren kann. Das sorgt für Sauerstoffzufuhr.
    – Sie wollen mich entweder absichtlich missverstehen, oder Sie haben den Verstand verloren, den Gott Ihnen mitgegeben hat. Ich erkläre es Ihnen noch mal zum Mitschreiben. Beim Ealing Borough Council bemühen wir uns, in Kleidung und Benehmen gewissen Ansprüchen zu genügen. Schließlich kommt der Steuerzahler für unsere Gehälter auf und darf erwarten …
    – Ich bin auch Steuerzahler und so. Ich zahle meine Poll Tax, log ich.
    – Ja, aber …
    – Von welchen Ansprüchen reden wir hier? Wer hält sich denn hier für den großen Modepapst?
    – Wir reden hier von firmeninternen Ansprüchen! Die Ansprüche, die wir an alle Beschäftigten dieser Behörde stellen.
    – Hören Sie, Mann, ich kann mir nicht mal die Butter aufs Brot kaufen. Ich hab mich für funktionelle Kleidung entschieden, Klamotten, in denen ich mich wohlfühle, damit ich im Job mehr leisten kann. Ich werd den Teufel tun und nen Schlips anziehen, Mann, das is n reines Phallussymbol, ein psychologischer Kunstgriff, mit dem Männer ihre sexuellen Komplexe kompensieren. Auf solche Spielchen lass ich mich nicht ein. Man kann mich nicht zwingen, mich nach den massenpsychologischen Macken der männlichen Angestellten des Ealing Borough Council zu richten. Wie kommen Sie mir denn vor?
    Gleaves schüttelte verzweifelt den Kopf.– Brian. Seien Sie bitte mal eine Sekunde still. Sehen Sie, ich verstehe, wie Sie sich fühlen. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie sind ein intelligenter Kerl, also spielen Sie nicht den Dummen. Das bringt Sie nicht weiter. Sie haben das Zeug dazu, in dieser Organisation voranzukommen, sagt er zu mir, sein Tonfall wird jetzt ermunternd.
    Das war eine Feststellung, die komisch hätte sein können, wäre sie nicht so erschreckend gewesen.– Um was zu tun? fragte ich.
    – Einen besseren Job zu bekommen.
    – Warum? Ich meine, wozu?
    – Nun ja, rechtfertigte er sich in etwas selbstgefälligem Ton,– man verdient nicht schlecht, wenn man erst mal in meiner Position ist. Und es ist eine Herausforderung, in sämtliche Arbeitsbereiche der Stadtverwaltung einbezogen zu sein.
    Er unterbrach sich, weil er spürte, wie er sich in meinen Augen zusehends lächerlicher machte.– Hören Sie, Brian, ich weiß, Sie halten sich für einen großen Radikalen und mich für ein reaktionäres, faschistisches Schwein. Tja, dann habe ich eine Neuigkeit für Sie: Ich bin Sozialist, ich bin Gewerkschafter. Ich weiß, Sie sehen in mir nur einen Vertreter des Establishments, der einen Anzug trägt, aber wenn wir den Tories ihren Willen lassen würden, hätten wir wieder Kinderarbeit in den Minen. Ich bin mindestens genauso gegen das Establishment wie Sie, Brian. Ja, ich besitze ein eigenes Haus. Ja, ich wohne in einer bevorzugten Wohngegend. Ja, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, ich mache zweimal im Jahr Urlaub im Ausland und fahre einen teuren Wagen. Aber ich bin genauso gegen das Establishment wie Sie, Brian. Ich glaube an den Dienst an der Allgemeinheit, daran, dass der Mensch an erster Stelle kommt. Das ist für mich mehr als ein bloßes Klischee. Gegen das Establishment zu sein bedeutet für mich nicht, sich wie ein Penner anzuziehen, Drogen zu nehmen und auf Rave-Ups zu gehen, oder wie das heißt. Damit macht man es sich leicht. Das ist genau das, was die Leute an den Schalthebeln der Macht wollen; Leute, die aussteigen, den Weg des geringsten Widerstands gehen. Für mich heißt es, an kaltenAbenden an Türen zu klopfen, an Versammlungen in Schulen teilzunehmen, um Labour wieder rein- und Major und seinen

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