Der Durst der Toten
.«
»Bist du nicht.«
»Aber -«
»Wir reden ein andermal, ja?« Viviens Nervosität war fast greifbar.
Und Jodie begriff. Er kommt gleich. Er holt sie ab. Und sie will nicht, daß wir uns begegnen ...
»Wann?«
»Ich ruf dich an.«
»Wer's glaubt.«
»Doch. Wirklich. Nur jetzt, jetzt paßt es schlecht - okay?«
»Ich hab' in den letzten Wochen hundertmal probiert, dich ans Telefon zu kriegen. Ich treffe deinen Anrufbeantworter inzwischen öfter als dich. Hör auf, dich davor zu drücken. Sag, was dir nicht paßt!«
»Bitte, geh jetzt. Ich melde mich morgen bei dir. Morgen mittag, in deiner Pause .«
»Ich arbeite nicht mehr bei Cremer's - aber wie solltest du das wissen?«
»Du kannst mir alles erzählen. Wir verabreden uns. Aber jetzt habe ich keine Zeit. Versteh das, bitte. Dieser Abend ist sehr wichtig für mich. Ich habe den Mann meiner Träume kennengelernt. Wir sehen uns gleich. Und ich will perfekt sein, wenn er klingelt. Bitte . «
»Du bist ja wirklich mächtig verknallt. Wer ist es? Kevin Costner? Brad Pitt? Adrian Doyle?« Als Vivien vor Verzweiflung die Augen verdrehte, wiegelte sie ab: »Schon gut. Ich habe verstanden. Du meldest dich . - Und wenn nicht, stehe ich morgen wieder auf der Matte. Dann aber gnade dir Gott!«
»Danke.«
Jodie ballte die Fäuste und wandte sich ab. Schon nach zwei Schritten hörte sie, wie die Apartmenttür hinter ihr geschlossen wurde.
Vivien mußte es wirklich verdammt wichtig sein, Eindruck bei ihrem Traumprinzen zu schinden.
Noch während Jodie auf den Lift zuging, kam die Kabine von unten herauf. Die Flügel glitten zur Seite. Die Gestalt, die heraustrat, schenkte Jodie keinerlei Beachtung.
Aber Jodie ihr. Es war ein Mann.
Ein ... seltsamer Mann.
Sie zog kurz in Erwägung, daß es sich um einen neuen Nachbarn von Vivien auf demselben Korridor handeln könnte. Aber dieser Kerl sah nicht danach aus, als könnte er sich überhaupt eine Wohnung leisten. Eher wie ein - Obdachloser.
Darüber hinaus haftete ihm etwas undefinierbar Unangenehmes an. Es hatte nichts mit seiner Art zu tun, sich zu kleiden, daran störte sich Jodie normalerweise ohnehin nicht. Aber das wächserne Gesicht und der stur zu Boden gerichtete Blick mißfielen ihr zutiefst, und sie war froh, als sie unbehelligt an ihm vorbei war.
Am allerwenigsten paßte die rote Rose zu ihm, die er in der Hand hielt. Vivien liebte rote Rosen. Dennoch hatte Jodie bereits die Fahrstuhlkabine betreten, bis es in ihrem Kopf klick machte und der absurde Gedanke aufblitzte: Das wird doch nicht... Nein, unmöglich!
Der Fremde hielt weiter auf das Korridorende zu, als sich die Liftflügel wieder zu schließen begannen. Jodie reagierte reflexartig, drückte die Taste, die den Schließvorgang wieder umkehrte, und bohrte ihren Blick angespannt durch den sich erweiternden Spalt.
Der Unbekannte war vor der 8.11 stehengeblieben, rückte seinen Hemdkragen zurecht und klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Tür von Viviens Wohnung.
Um Gottes willen, dachte Jodie. VIVIEN!
Die ein Jahr ältere Freundin öffnete mit einem strahlenden Lächeln, das anhielt, sich sogar noch steigerte. Als sie die Hand nach der ihr hingereichten Rose ausstreckte, bemerkte Jodie ein inneres Leuchten in Viviens Gesicht, das sie so baff machte, daß sie das Schließen der Fahrstuhltür diesmal nicht verhinderte.
Um ihre Fassung ringend fuhr sie ins Erdgeschoß zurück, verließ das Gebäude und setzte sich erschüttert hinter das Steuer ihres Cad-dys. Sie wollte sich mit der Geschmacksverirrung ihrer Freundin nicht abfinden. Der Mann war nicht nur unansehnlich, beinahe häßlich, sondern hätte auch gut und gern ihr Vater sein können!
Das sollte Viviens Traumprinz sein - vielleicht sogar der Grund, warum sie sämtliche Kontakte zu früheren Freunden und Bekannten abgebrochen hatte .?
Ich muß mich irren. Ich MUSS!
Jodie klammerte sich an diesen Strohhalm.
Doch Minuten später verließ die blonde Vivien das Haus am Arm ihres brandneuen, aber keineswegs mehr taufrischen und völlig indiskutablen Lovers - lachend wie ein Turteltäubchen.
Nein, wie eine blöde, durchgeknallte Gans! korrigierte sich Jodie.
Und auch der weitere Verlauf der Nacht war nicht dazu angetan, dieses einmal gefällte, herbe Urteil zu revidieren.
Ganz im Gegenteil .
*
Sie hatten sich zusammen einen Schmachtfetzen in der Tradition von Titanic im Kino angesehen und danach noch eine schummrige kleine Kneipe aufgesucht, wo Vivien Portland wieder einmal mehr
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