Der Effekt - Roman
wohnte, ging zu Fuß oder nahm die Métro.
»Aber es macht keinen Sinn, dich anzulügen«, fuhr Caitlin fort. »Du weißt ja, was gespielt wird. Wer ich bin und was ich tue.«
»Ja.« Monique zuckte mit den Schultern.
»Tatsache ist, dass ich dich brauche. Ich habe diesen verdammten … Tumor im Kopf, oder was das ist. Die Übelkeit kommt und verschwindet wieder. Im Augenblick geht’s mir ganz gut, aber ich fühle mich trotzdem zum Kotzen und weiß nicht, wann ich wieder einen Anfall bekomme.
Ich könnte dir jetzt auch erzählen, dass ich mich für dich verantwortlich fühle, weil ich dich in diese Geschichte hineingezogen habe, und dass meine Ehre verlangt, dass ich dich mitnehme. Aber Tatsache ist, dass ich völlig am Arsch bin und deine Hilfe brauche. Ich habe sonst niemanden mehr.«
Sie kamen um eine Ecke und bemerkten einen Minibus. Daneben war ein Mann damit beschäftigt, seine Familie einzuladen. Und Vorräte für mindestens einen Monat, wenn man sich die Kisten und Taschen ansah, die er hineinreichte. Monique merkte, dass ihre Begleiterin die Familie abschätzte, und wolle schon Einspruch erheben. Aber Caitlin grinste sie an: »Keine Angst, ich werde den Kindern ihren Ausflug schon nicht vermiesen. Du solltest wirklich ein bisschen mehr Vertrauen zu mir haben. Du wirst es kaum glauben, aber Menschen wie diese, ganz normale Bürger, das sind meine Schützlinge. Alles, was ich tue, soll sie schützen.«
Monique schaute sie skeptisch an. Beinahe trat sie auf eine tote Taube und passte nun wieder besser auf, wohin sie ihren Fuß setzte.
»Für die hier bist du wohl nicht verantwortlich«, stellte sie fest. »Das sind Franzosen. Und du bist keine Französin. Ich weiß inzwischen genug über deine Welt, um zu verstehen, was das bedeutet. Du hast mir von Noisy-le-Sec erzählt. Und Echelon ist so geheim nun auch wieder nicht. Es wurden Bücher darüber geschrieben, und in den Nachrichten gab es Meldungen dazu. Die französische Polizei hat Untersuchungen darüber angestellt. Ich habe in Le Monde eine Reportage gelesen. Wo ist also das Geheimnis? Es ist eine bekannte Verschwörung verschiedener englischsprachiger Länder.«
Caitlin lächelte.
»Das eine ist bekannt, das andere nicht, Monique. Aber in einer Hinsicht hast du Recht. Regierungen und ihre Institutionen
arbeiten oftmals gegeneinander, aber ich spreche hier von einem breiteren Horizont als das …« Sie deutete mit dem Kopf auf den Familienvater, der jetzt die restlichen Gepäckstücke verstaut hatte. »Leute wie er möchten nichts weiter, als ihr eigenes Leben unbehelligt leben. Sie möchten Kinder großziehen, ihnen Sicherheit bieten und den Weg in eine gute Zukunft ebnen … Die Welt, in der sie leben möchten, die muss geschützt werden. Sie ist es wert, dass man dafür kämpft. Diese Menschen sind es wert, dass man für sie kämpft.«
»Gegen meinen Freund?«, fragte Monique mit ätzendem Unterton.
Caitlin hielt an und schaute sie direkt an. »Ja.«
»Ach komm, das ist doch …«
Sie gingen weiter. Monique ging jetzt leicht nach vorn gebeugt und hielt ihre Arme steif nach unten. Caitlin kannte das schon an ihr. Sie war mal wieder wütend.
Sie seufzte.
»Bilal Hans Baumer«, sagte sie, und sofort hörte Monique ihr wieder zu.
»Du kennst seinen vollen Namen?«
Sie sah gleichermaßen überrascht und verängstigt aus.
»Natürlich kenne ich seinen Namen. Er war meine Zielperson. Bilal Hans Baumer, geboren am 5. Mai 1974 in Hamburg. Eltern geschieden. Der Vater Hans Baumer ist ein deutscher Automechaniker, die Mutter Fabia Shah eine Türkin. Sein Vater hat ihn eigentlich Wilhelm genannt, aber er war Alkoholiker und verließ die Familie 1978, kurz nachdem er arbeitslos geworden war. Seine Mutter ist eine gemäßigte Muslimin. Ihr Bruder Abu wurde zum Ersatzvater für den Jungen, nachdem der Vater verschwunden war. Abu nannte ihn immer Bilal anstatt Wilhelm. Und so wurde er dann von allen genannt. Bleib nicht stehen. Komm, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
Monique war wenige Meter vor dem Minibus stehen geblieben. Der Vater, der sich hinter das Lenkrad setzen wollte, bemerkte sie. Er sah aus, als würde er sich schuldig fühlen, weil er etwas Unerlaubtes tat. Monique nickte ihm zu und bemühte sich zu lächeln. Auch er nickte, als er ihre Rucksäcke bemerkte und erkannte, dass sie ebenfalls verreisen wollten.
»Bonjour«, sagte Caitlin im Vorbeigehen. »Bonne chance.«
»Bonne chance.« Er nickte ihnen zu, bevor er einstieg und
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