Der Effekt - Roman
eigenen, wachen Bewusstseins zwang sie andauernd, wach zu werden und die Welt der Alpträume zu verlassen. Dann zerstoben die hässlichen Bilder, als würden sie von einem frischen Wind weggeblasen. Ihr wurde schwindelig, und sie merkte, dass die schlimmen Schmerzen und die Übelkeit mit einem Mal verschwunden waren. Sie waren nicht weniger geworden, sondern ganz verschwunden. Endlich konnte sie ihre Umgebung bewusst wahrnehmen. Sie spürte sich wieder, realisierte, dass sie zusammengerollt auf dem unbequemen Sofa lag, fühlte den Stoff der fadenscheinigen Decke auf der Haut, die Monique über sie gelegt hatte. Der Geruch des Essens, das sie am Abend gekocht hatte, drang ihr in die Nase, zusammen mit dem Gestank des Erbrochenen. Die Dunkelheit jenseits der Gardinen hatte einen leichten orangefarbenen Schimmer, der von den Feuern in den Vorstädten herrührte. Sie hörte das Ticken einer Uhr, Schritte in der Wohnung über ihr und die Stimme von Monique, die gerade mit jemandem sprach. Nur ihre Stimme, die gelegentlich pausierte und dann wieder etwas sagte.
Sie telefonierte.
Ein Ruck ging durch Caitlins Körper. Sie richtete sich auf und sprang vom Sofa und durchquerte das Zimmer. Wegen der plötzlichen Bewegung wurde ihr schwindelig, sie taumelte und stieß mit dem Schienbein gegen den Tisch. Fluchend rannte sie weiter. Sie telefonierte! Verdammter Mist!
Sie hörte, wie Moniques Stimme abbrach und dann das Piepen des Handys ertönte, als das Gespräch beendet wurde.
»Was, zum Teufel, tust du denn da! Ich habe doch gesagt, keine Telefongespräche! Wer war das, Monique? Wer war das?«
Monique hockte in einer Ecke in der Küche und schaute sie verängstigt an.
»Es tut mir leid. Entschuldige bitte, aber ich hatte Angst.«
In der Küche war es dunkel, die einzige Lichtquelle war das erleuchtete Display ihres kleinen Nokia-Handys. Es tauchte ihr Gesicht in ein grelles Gelb, dann ging es aus, und nun herrschte wieder völlige Dunkelheit um sie herum.
»Hast du Bilal angerufen?«
Monique schnappte hörbar nach Luft. »Es tut mir leid, Caitlin. Aber ich musste mit ihm reden. Ich wollte …«
»Herrgott nochmal, Monique! Wie oft habe ich dir gesagt, keine Anrufe, zu niemandem! Nicht nur, dass dein Freund ein Terrorist ist …«
»Er ist kein Terrorist …«
»Oh, entschuldige bitte. Hat er dir das gesagt? Geschworen beim Leben seiner Mutter. Na gut, wenn das so ist, dann ist ja alles in bester Ordnung. Dann kann ich mich ja wieder hinlegen.«
Caitlin drehte sich um und ging ins Badezimmer, wo sie an der Schnur zog, die die nackte Glühbirne einschaltete. Dann bückte sie sich und hob ein Stück Linoleum vom Boden hoch und legte die Holzdielen frei. Sie fasste mit einem Finger in ein Astloch, zog daran und nahm das Brett heraus. Das Gleiche machte sie mit dem Brett daneben. Ein sandfarbener Ordner kam zum Vorschein. Sie merkte, dass Monique hinter ihr eintrat. Sie sagte nichts, sondern beeilte sich, den Inhalt des Verstecks hervorzuholen.
Sie sprachen nicht miteinander. Nur Caitlins Atem war zu hören und das metallische Geräusch von Waffen und Munition, die sie aus dem Versteck holte. Sie spürte, dass
Monique etwas sagen wollte. Die Spannung zwischen ihnen war beinahe mit Händen zu greifen. Caitlin fürchtete, dass sie nicht vernünftig reagieren würde, wenn Monique sie jetzt ansprach, und bemühte sich, eine Konfrontation zu vermeiden.
»Im Schlafzimmer steht eine Sporttasche«, sagte sie und versuchte dabei so ruhig und zurückhaltend wie möglich zu klingen. »Kannst du die mal holen?«
»Okay«, antwortete Monique mit ängstlicher Stimme.
Kurz darauf kam sie mit einer alten Adidas-Tasche zurück. Bis auf ein paar Sachen, die sie bei ihrem letzten Einkauf besorgt hatten, Taschenlampe, Batterien, Energieriegel, war sie leer. Caitlin packte die Waffen und die Munition in die Tasche.
»Es … tut mir leid, Caitlin … ich war nur … ich hatte …« »Vergiss es«, blaffte sie zurück. »Es war meine Schuld. Ich hätte das kontrollieren, dir das Handy wegnehmen müssen. Du wolltest ja die ganze Zeit über jemanden anrufen. Ich sollte mich entschuldigen. Ich hab die Beherrschung verloren. Dieser verdammte Tumor oder was das ist, ist daran schuld. Das Große Verschwinden. Das alles macht mich total fertig, und wahrscheinlich werden wir deswegen auch draufgehen. Wenn wir umgebracht werden, dann deswegen, nicht weil du einen Fehler gemacht hast. Das warst ja nur … du. Du bist nicht ausgebildet. Du hast
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