Der Effekt - Roman
die Tür hinter sich zuschlug. Caitlin schaute in den Wagen, um herauszufinden, ob sie vielleicht mitfahren könnten, aber es war alles vollgepackt mit Kindern, Erwachsenen, Kisten, Koffern und Nahrungsmitteln.
»Warum erzählst du mir das?«, fragte Monique, während der Bus losfuhr.
Caitlin ging weiter.
»Durch Abu kam Bilal in Kontakt mit anderen entwurzelten Jugendlichen, die meisten von ihnen das Produkt von fehlgeschlagenen Ehen zwischen deutschen Männern und ausländischen Frauen. Seine Mutter lebt noch immer in der Wohnung, in der er aufgewachsen ist. Sie arbeitet als kleine Angestellte im Einwohnermeldeamt. Darauf ist sie sehr stolz. Er ist einer der wenigen Jungen aus seiner Nachbarschaft mit einem Schulabschluss. Er geht einer geregelten Arbeit nach und wäre beinahe mit der deutschen Volleyballmannschaft nach Athen zur Olympiade gefahren.«
Auf der Straße tauchten nun immer mehr Menschen auf, manche von ihnen sahen aus, als wollten sie wandern gehen. Aus einem Mietshaus auf der anderen Straßenseite trat eine weitere Familie. Die Kinder weinten, weil die ätzende Luft in ihren Augen und beim Atmen wehtat. Ein junger Mann auf einem Fahrrad fuhr vorbei. Er trug Schutzbrille und Mundschutz. Er klingelte und zwinkerte ihnen zu. Caitlin musste lächeln und fühlte
sich schon wieder etwas besser. Trotzdem sprach sie weiter.
»Bilal ist groß und breitschultrig, seine Haut leicht olivfarben. Er ist gut durchtrainiert. Er hat dichtes gelocktes dunkelbraunes Haar. Seine Augen sind dunkelbraun und wirken aus der Ferne fast schwarz. Er lächelt immer und sieht dabei aus, als würde er vor Energie sprühen. Er kann selten länger als einige Minuten stillsitzen und springt gern hin und her, wenn er aufgeregt ist. Beim Reden gestikuliert er heftig.«
Monique starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und wäre beinahe gegen einen Pfosten gestoßen. Caitlin hatte Bilal nie getroffen, aber sie hatte ihn perfekt beschrieben.
»Sein Onkel Abu ermutigte ihn, auf der Schule zu bleiben und zu studieren, auch wenn viele junge Männer aus seinem Bekanntenkreis sich entschlossen, von der Sozialhilfe zu leben. Er finanzierte seine Ausbildung und unterstützte seine Mutter. Er studierte Sportwissenschaft und qualifizierte sich als Fitnesstrainer. Zunächst arbeitete er als Physiotherapeut für Senioren, später wechselte er in ein Fitnesscenter, wo er bei den weiblichen Kunden sehr beliebt war. Ich glaube, dort hast du ihn kennengelernt, als du für acht Monate in Berlin warst.«
Monique sah aus, als wäre ihr schlecht geworden, aber Caitlin redete unbeirrt weiter.
»Bilal spielt seit einem Aufenthalt in Sardinien 1995 Beach-Volleyball und wurde mit seinem Partner Jürgen Müller deutscher Regionalmeister. Ihr Versuch, an der Olympiade teilzunehmen, scheiterte an der Einberufung von Jürgen Müller zur Bundeswehr.«
Sie blieben am Rand des Gehsteigs stehen. Caitlin schaute rechts und links die Straße entlang, um herauszufinden, ob sie verfolgt wurden. Es war nichts Verdächtiges zu sehen. Sie sprach ganz sachlich und trug alle Fakten
vor, die sie aus dem Ordner kannte, den ihr Instrukteur ihr gegeben hatte und in dem alle Informationen über den Al-Kaida-Aktivisten Al-Banna gesammelt waren.
»Er wuchs im Berliner Stadtteil Neukölln auf, in dem die Einwanderer die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Drei Generationen von Türken leben mit Menschen aus Osteuropa und Nordafrika zusammen. Die meisten Türken sprechen kein Deutsch und gehen nicht zur Schule. Die Arbeitslosigkeit liegt bei achtzig Prozent, und die Stadt muss drei Viertel ihres Haushalts für Sozialausgaben aufwenden.«
»Hör auf, bitte hör auf«, bat Monique. »Worauf willst du denn eigentlich hinaus?«
»Worauf ich hinauswill, Monique, das ist, dass Bilal Baumer nicht dein Freund ist. Weißt du, warum er nicht mit dir zusammenleben will?«
»Er kann nicht, wegen seiner Arbeit, er …«
Caitlin lächelte zufrieden.
»Seine Arbeit ist doch nur Tarnung. Er könnte doch überall arbeiten, Fitnesstrainer werden auch in Paris gebraucht, vor allem, wenn sie so gut sind wie er. Er ist EU-Bürger, er kann auch im Ausland leicht einen Job finden. Und das weißt du auch, du hast es immer gewusst.«
Caitlin trat dicht an sie heran. Sie senkte ihre Stimme und klang jetzt viel einfühlsamer und persönlicher: »Wie viele Frauen leidest du unter einem Mangel an Selbstbewusstsein. Du kannst einfach nicht glauben, dass ein so gut aussehender Mann sich von dir
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