Der Effekt - Roman
Der Franzose versuchte, sich zu beherrschen, aber es war deutlich zu sehen, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Seine Mundwinkel sanken herab, er schürzte die Lippen und zog den Kopf zurück. Ein jämmerlicher Versuch, sich emotional von seiner Gefangenen zu distanzieren. Er würde sie nicht schlagen, weil sie ihm so frech gekommen war. Das würde der Algerier besorgen, der später wieder kommen sollte. Reynard - das war nicht sein richtiger Name, aber er sah aus wie ein Reynard, wie ein hungriger Fuchs, der Scheiße von der Drahtbürste leckt, wie ihr Vater es ausgedrückt hätte - er stand viel zu weit oben, um sich die Hände schmutzig zu machen.
»Die Ärzte behaupten, dass du ziemlich krank bist«, sagte er auf Englisch. »Wir könnten dir helfen. Deine Krankheit verschlimmert sich, aber es ist noch nicht zu spät. Hilf uns, dann können wir dir helfen.«
Sie lachte auf und musste gleich darauf husten. Es brannte in ihrem Brustkorb. Sie spuckte kleine Blutstropfen, die auf seinem Hemd und seiner Krawatte landeten.
»Entschuldigung«, sagte sie und fügte hinzu: »Rot ist nicht gerade deine Lieblingsfarbe, hab ich Recht, Reynard?« Sie sammelte etwas Schleim und Blut in ihrem Mund und spuckte auf ihn. Sie hatte ihm diesen Namen gegeben, nachdem ihr klargeworden war, dass er ihr nicht einmal einen falschen Namen nennen würde.
Es war ein billiger Trick, um ihr Gefühl von Machtlosigkeit zu steigern. Man kam leicht dagegen an, indem man sich einen Namen ausdachte und dabei blieb.
Mit Blut und Schleim nach ihm zu spucken half auch ein bisschen.
Er hielt seine Notizzettel hoch, um es abzuwehren, aber es gelang ihr immerhin, ihn an der Hand zu treffen.
Er beschimpfte sie auf Französisch, rannte aus der Zelle und warf die Tür hinter sich zu. Das schwere Eisending krachte laut donnernd ins Schloss.
Caitlin schloss die Augen und grinste vor sich hin. Ein kleiner Sieg. Noch vor kurzem hätte Reynard diesen Spuckangriff einfach über sich ergehen lassen, um ihre Widerstandskraft zu schwächen und sie daran zu erinnern, dass sie ganz allein auf der Welt stand. Ihn wütend zu machen war ein kleiner Sieg. Vielleicht ein Pyrrhussieg, aber immerhin etwas. Sie atmete langsam ein und aus. Die Luft war muffig und feucht. Sie erinnerte sich an ihren letzten Aufenthalt in Noisy-le-Sec. Damals war es sehr kalt gewesen. Die Vernehmungsbeamten hatten die Temperatur auf knapp über null Grad eingestellt. Diesmal aber war noch kein derartiger Manipulationsversuch unternommen worden. Vielleicht lag es an der Stromknappheit. Die Lichter flackerten immer wieder, manchmal erloschen sie sogar für einige Minuten. Die Festung verfügte sicherlich über Generatoren, aber natürlich mussten sie auch Treibstoff sparen, weil die Stromversorgung zusammenbrechen konnte.
Sie hatte keine Ahnung, wie es draußen aussah. Seit einem Monat befand sie sich in Isolationshaft, und ihre
Kidnapper hatten ihr nichts über die Außenwelt mitgeteilt, nur Details, die ihnen zupasskamen. Aber selbst wenn, hätte sie ihnen sowieso nicht geglaubt. Sie konnte sich nur auf die Informationen verlassen, die rein zufällig und unbeabsichtigt zu ihr drangen.
Zeit. Sie hatten versucht, ihr die zeitliche Orientierung zu nehmen. Um ihr das Gefühl zu geben, sie würde ganz allein inmitten der Ewigkeit existieren, und sie seien ihre einzigen Orientierungspunkte. Darin waren sie ziemlich gut. Sie war darauf trainiert worden, auf jede kleinste Einzelheit in ihrer Unterhaltung zu achten, die helfen konnte, sich zeitlich zu orientieren. Aber Reynard und seine Männer waren gut. Keiner trug eine Armbanduhr, und nach einer gewissen Zeit des Geschlagenwerdens und der Befragungen war ihr jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Aber eines konnten sie ihr nicht nehmen. Sie war eine Frau, und nach drei Wochen Gefangenschaft hatte sie ihre Periode. Nur ganz leicht, aber eindeutig.
Sie war wieder vorbei, und damit war seit Moniques Tod und ihrem Zusammenbruch in dem Mietshaus an der Rue d’Asnière ein Monat vergangen. Die kleine Gewissheit bezüglich der Zeit behielt sie für sich. Sie wusste nun wieder, wie lange sie sich in Gefangenschaft befand. Es war nur ein kleiner Triumph in dem immerwährenden Kampf mit Reynard, aber nicht der einzige. Inzwischen hatte sie einiges über ihn herausgefunden, was ihm gar nicht gefallen würde.
Zum Beispiel hatte er Gewicht verloren. Sie hatte die Ösen an seinem Gürtel gezählt und festgestellt, dass er ihn zwei Ösen enger geschnallt
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