Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
erschien.

36

Hauptquartier der pazifischen Streitkräfte, Hawaii
    »Mein Gott, das sieht ja aus wie die siebte Hölle da unten.«
    Mit »da unten« war das Tal des Nil gemeint, das Tausende von Jahren ein Hort der menschlichen Zivilisation gewesen war. Nun war es nur noch eine furchtbare Einöde, bestehend aus radioaktivem Schlamm, in dem die Überreste moderner und antiker Ruinen verstreut lagen. Auf Ritchie wirkte es wie ein endloses schwarzes Meer aus Gartenmulch, über den zehn Millionen Leichen verstreut lagen, ein gefundenes Fressen für alle Aasgeier, die der Nordosten von Afrika beherbergte. Die wenigen amerikanischen Kundschaftergruppen, die sich hineingewagt hatten, berichteten von einem unglaublichen Lärm, den die zahllosen herumsurrenden Fliegen verursachten, ein Geräusch, das einer Säge ähnelte. Es gab einige wenige Überlebende, einer von zehn Millionen hatte es geschafft, aber sie waren alle dem Wahnsinn verfallen. Die Bevölkerung von Ägypten war auf einige wenige Bewohner von Oasen reduziert, die weit im Westen in der Wüste lagen. Sonst gab es nur noch ein paar herumwandernde Beduinenstämme, die jetzt Richtung Süden unterwegs waren.
    Ritchie stand mit grimmigem Gesichtsausdruck vor den verschiedenen Bildschirmen. Viele davon waren aus Katar geliefert worden, wo sich das Hauptquartier der Koalitionsstreitkräfte befunden hatte. In der Zentrale der pazifischen Streitkräfte waren auf zahllosen Monitoren die verschiedenen
Konfliktherde zu sehen, mit denen Ritchie sich herumschlagen musste. Auf den meisten war die nuklear verseuchte Wüstenei des Nahen Ostens zu sehen. Und so schlimm die apokalyptischen Verhältnisse im ehemaligen Ägypten sich durch das Auge der Kameras der Aufklärungsflugzeuge darstellten, die über dem Tal des Nil und dem Delta kreisten, waren diese Bilder nicht einmal das Schlimmste, was der Admiral zu sehen bekam.
    Auf kleineren Bildschirmen waren noch viel schrecklichere Bilder zu sehen. Im Irak, in Syrien, im Libanon und im Iran fraßen die Menschen sich im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig auf. Tausende von verbrannten und verwundeten, aber noch immer lebenden Opfern des Atomschlags waren aus den verkohlten Ruinen der Städte geströmt und in den ländlichen Gebieten eingefallen. Ohne Benzinvorräte und sonstige Energie und ohne funktionierendes Transportsystem war es den Bewohnern der ländlichen Gebiete, die ja sowieso schon unter der radioaktiven Strahlung leiden mussten, nicht mehr möglich, ihrer Arbeit nachzugehen. Die wenigen Nahrungsmittel, die noch geerntet worden waren, mussten nun gegen die Horden verteidigt werden, die aus den Städten hier einfielen.
    Ritchie hatte angeordnet, dass die schlimmsten Bilder nicht live übertragen werden sollten. Es gab keine taktischen Gründe, diese Groteske in ihren Einzelheiten allen vor Augen zu führen. Aber als Kommandant musste er sich alle Details der Aufnahmen anschauen, auf denen oftmals nichts anderes als Szenen des Kannibalismus zu sehen waren. Es war schauderhaft und schrecklich und wiederholte sich immer wieder. Irgendwann war er so abgestumpft, dass er gefühlsmäßig überhaupt nicht mehr auf diesen Horror reagieren konnte. Übrig blieben nur bedeutungslose Pixel auf den Schirmen.
    »Okay, das reicht mir jetzt«, sagte General Franks.

    Die beiden Männer wandten sich ab. Die Bildschirme erloschen.
    »Es tut mir leid«, sagte Ritchie, als sie, gefolgt von ihren Mitarbeitern, den Raum verließen. »Ich wusste nicht, was ich hätte tun können, abgesehen von einem Atomangriff auf die Israelis …«
    »Vergessen Sie’s«, brummte Franks. »Sie wurden hintergangen. Ich auch. Die Warnung, die ich nach Teheran geschickt habe, hat es nur noch schlimmer gemacht. Der EMP-Effekt hat alles zerstört bei denen. Ich denke, wir können froh sein, dass sie uns nicht als Kollateralschaden mit einbezogen haben.«
    »Das hätte allerdings Konsequenzen gehabt«, sagte Ritchie.
    »Klar«, sagte Franks. »Aber das hätte für mich und meine Leute auch keinen Unterschied gemacht, oder? Und dann auch noch diese Liste mit den falschen Zielangaben. Wirklich großartig. Aber nun müssen sie damit klarkommen, was sie angerichtet haben. Und sie wissen, dass sie es nicht nochmal tun dürfen. Dann würden die Russen sie auslöschen, und wir würden keinen Finger zu ihrer Verteidigung rühren.«
    Ritchie verzichtete auf eine Antwort. Drei Tage nach dem Armageddon, wie der einseitige Atomschlag von der westlichen Presse getauft worden

Weitere Kostenlose Bücher