Der Effekt - Roman
kein Glück gehabt. Die einzige Antwort auf sein »Hallo« und »Wie geht’s denn so« war ein undeutliches Brummen und ein leerer Blick vollkommenen Desinteresses gewesen.
»Das ist gar kein richtiger Mensch, oder?«, sagte Monty, der Büroleiter. »Aber das ist immer noch besser, als den Verrückten da draußen freien Einlass zu gewähren.«
Monty war ein Veteran der Kriegsberichterstattung, der sich seine Sporen 1973 während des Jom-Kippur-Krieges auf den Golanhöhen verdient hatte. Wie die meisten anderen Reporter war er frisch eingetroffen, als Freiwilliger. Er kam aus Kabul, und Paris wurde inzwischen als Kriegsgebiet eingestuft. Melton war vom freien Mitarbeiter der BBC zum Festangestellten avanciert, kaum dass er seinen
Fuß auf das Redaktionsgelände gesetzt und seine Irak-Reportage präsentiert hatte. Nur wenige verfügten über so viel Erfahrung wie er. Sogar die Veteranen des Senders, alles altgediente Korrespondenten, waren nicht so häufig und unmittelbar an der Front gewesen.
»Tee?«, fragte Monty, als sie sich im Konferenzraum im zweiten Stock zusammenfanden, einem fensterlosen Raum in der Mitte des Gebäudes. Abgesehen von den Studios im Keller war dies der sicherste Teil des Hauses, aber hin und wieder ließ eine Explosion in der Nähe den Putz von der Decke rieseln. Melton spürte die Vibrationen unter seinen Füßen.
Es gab leider keinen Kaffee mehr, und Melton hatte festgestellt, dass die Briten tatsächlich wesentlich besser funktionierten, wenn sie ein oder zwei Tassen von ihrem dünnen, milchigen Gebräu intus hatten. Er hatte keine Ahnung, wo Barry, der Büromanager, die Vorräte besorgte, aber es gelang ihm in dieser Stadt, die von Rassenunruhen und Bürgerkrieg zerrüttet war, dafür zu sorgen, dass immer genug zu essen im Kühlschrank und genügend Tee in der Kanne war. Als Melton ihn auf sein Organisationstalent ansprach, grinste der und sagte: »Ich hab damals dafür gesorgt, dass Jim Muir in seinem Kühlschrank in Beirut immer eine Flasche Boddingtons-Bier stehen hatte, dann wird’s ja wohl kein größeres Problem sein, in Paris ein bisschen Tee zu besorgen, oder?«
»Aber eine schöne Tasse Java-Kaffee ist nicht drin?«, fragte Melton.
»Eher nicht«, sagte Barry entschuldigend. »Die Franzmänner bringen sich schon wegen labberigen Croissants und ein bisschen Nescafé um. Nein, Mr. Melton, es gibt keinen Kaffee. Warum trinken Sie nicht lieber ein zivilisierteres Getränk, hm?«
Das kleine Team von Korrespondenten und Redakteuren nahm rund um den Tisch Platz, die meisten hielten
Papierstapel oder Aktenordner in der einen und Teetassen samt Untertassen in der anderen Hand. Eine Packung »Biskuits«, wie sie alle Sorten von Keksen nannten, lag in der Mitte des Tisches. Monty verteilte einen davon an jeden der Teetrinker, bevor er die Packung wieder sorgfältig verschloss und mit einer Wäscheklammer sicherte. Warum die Wäscheklammer dafür benutzt wurde, blieb sein Geheimnis. Es war ein merkwürdiges Ritual, auf das Melton sich von Tag zu Tag mehr freute. Er bekam einen Vollkorn»Bicky« von McVitie’s zu seinem Glas Wasser angeboten, aber er lehnte erneut ab.
»Konntest du keine Oreos besorgen, Barry?«, fragte er halb scherzhaft.
»Oh, ich weiß, wo ein ganzes Lager davon ist, Mr. Melton, hab’s nur noch nicht geschafft, einen günstigen Preis rauszuschinden. Warum, mögen Sie die?«
»Nein, nein, machen Sie wegen mir keine Umstände«, entgegnete Melton lächelnd.
»Das hatte ich auch gar nicht vor, Sir.«
Andere Spitzfindigkeiten wurden über den Tisch hinweg ausgetauscht, bis alle sich eingefunden hatten. Die morgendliche Redaktionskonferenz war mehr als nur eine Gelegenheit, neue Themen vorzuschlagen oder Projekte, die bereits in Arbeit waren, zu rekapitulieren. Es war der einzige Termin, zu dem das gesamte Team zusammenkam. Die einzelnen Mitglieder konnten sich rückversichern, und gemeinsam konnten sie ihre Wunden lecken und sich darüber freuen, dass es keine erneuten Verluste gegeben hatte. Während des letzten Monats waren der BBC siebzehn ihrer Mitarbeiter abhandengekommen, abgesehen von denen, die im Nahen Osten oder in Amerika verschwunden waren. Das Pariser Büro hatte das Glück, dass seit dem Tod von Jon Sopel in der ersten Woche des Aufstands niemand mehr zu Schaden gekommen war. Das Büro expandierte und hatte die verlassenen Räumlichkeiten
in den Seitengebäuden übernommen, aber dort arbeiteten nur Korrespondenten auf der Durchreise oder feste
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