Der Effekt - Roman
wissen, dass dies hier ein völlig
unnormales Phänomen ist. Irgendetwas Gigantisches und Schreckliches ist passiert. Wir müssen herausfinden, was es ist. Damit wir uns auf die Folgen vorbereiten können.«
Musso verschränkte die Arme und ließ sein Kinn auf die Brust sinken.
»Dieser Vorhang, der anscheinend nur aus Luft besteht«, sagte er nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens. »Ist er stabil? Oder bewegt er sich und dehnt sich aus?«
Núñez schien sehr beunruhigt von dieser Frage. »Wie ich schon sagte. Es ist ein gigantischer Vorhang, und wie ein Vorhang bewegt es sich, als würde ein Wind hindurchgehen. Und dann schwebt es vor und zurück.«
Musso spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief. Dass dieses Ding sich auch noch bewegen konnte, war ein ziemlich bestürzender Gedanke.
»Wie sehr bewegt es sich denn, Major? Gibt es irgendwelche Grenzen?«
Núñez nickte heftig.
»Es scheint sich … aufzublähen … ist das das richtige Wort? Es scheint sich aufzublähen wie ein Segel, fünfzehn bis zwanzig Meter weit. Wie bei einem Vorhang oder einem Ast, der von einem Windhauch erfasst wird. Aber wenn man hineingerät, macht es puff! … und man ist weg!«
»Na gut, wie es scheint, müssen wir unbedingt mehr darüber herausfinden, über die Gesetzmäßigkeiten, denen es unterliegt. Aber wir können keine Leute mehr dort hineinschicken«, sagte Musso.
»Das ist richtig«, stimmte Núñez zu. »Wir haben Ihre Schiffe und Flugzeuge beobachtet. Die Piloten und Mannschaften wurden auch alle vernichtet.«
»Wie wäre es mit einem unbemannten Kundschafter, einer Drohne?«, schlug Stavros vor. »Soweit ich weiß, haben wir eine hier auf dem Stützpunkt. Der Effekt scheint
ja die Elektronik nicht anzugreifen. Vielleicht sollten wir eine starten und in das verseuchte Gebiet schicken.«
Musso warf Núñez einen prüfenden Blick zu.
»Wie stehen Sie dazu, Major? Wir können eine unbemannte Drohne losschicken, aber dann würden wir Ihren Luftraum verletzen. Ich bräuchte eine schriftliche Erlaubnis Ihres Vorgesetzten.«
Ein Teil seines Gehirns fragte sich, ob solche typischen Absicherungsreflexe in dieser Situation nicht überflüssig waren, aber irgendetwas in dieser Art musste er ja sagen.
»Ich bin der ranghöchste Offizier bei uns«, sagte Núñez und klopfte sich auf die Brust. »Unser Oberst war in Havanna und Oberstleutnant Lorenz fuhr in den Schleier, bevor wir herausgefunden hatten, wie gefährlich er war. Sein Wagen kam von der Straße ab und brannte aus.«
Stavros reichte ihm einen Stift und einen Notizblock. Der Kubaner fing sofort an zu schreiben. Niemand sagte etwas, während er schrieb. Musso trat ans Fenster. Es war jetzt fast Mittag, und die Sonne brannte unbarmherzig auf den Stützpunkt. Der Fahnenmast draußen auf dem Gelände warf einen sehr kurzen Schatten, die Fahne hing schlaff in der feuchtheißen Luft. Guantánamo war kein großer Flottenstützpunkt. Er war als Versorgungsbasis eingerichtet worden und dementsprechend schlicht. Als Gefängnis wurde das Gelände erst seit kurzem benutzt. Unten in der Bucht lagen nur ein paar Schlepper und ein einzelner Minensucher vor Anker. Alles sah ganz normal aus, geradezu banal.
»Hier«, sagte Núñez und reichte Stavros das Papier. »Sie können als Zeuge unterschreiben. Damit autorisiere ich Brigadegeneral Musso, für begrenzte Zeit einen unbemannten Flugkörper zur Aufklärung über kubanisches Gebiet fliegen zu lassen. Voraussetzung ist, dass ich persönlich dieses Unternehmen vor Ort und während der gesamten Zeit beobachte.«
»Ausgezeichnet«, sagte Musso.
Tatsächlich wäre eine solche Übereinkunft unter normalen Umständen nicht möglich gewesen, und Núñez hätte sich damit garantiert ins Gefängnis gebracht oder wäre standrechtlich erschossen worden, wenn er so etwas unterschrieben hätte. Wenn er in dieser außergewöhnlichen Situation bereit war, sich in Schwierigkeiten zu bringen, sollte es Musso nur recht sein.
»Verdammt.«
Oberstleutnant Stavros war der Erste, der etwas äußerte, und tatsächlich gab es viel mehr auch nicht zu sagen.
»Verdammt ist genau das richtige Wort«, stimmte Musso zu.
»Madre de Dios«, murmelte Núñez.
Noch vor wenigen Stunden wäre seine Anwesenheit in der Kommandozentrale undenkbar gewesen, und auch jetzt wurde er auf Schritt und Tritt von zwei Angehörigen der Military Police überwacht, aber Musso ging nicht davon aus, dass es Probleme geben würde. Auch fürchtete er
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