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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Menschen. Wir haben einige Personen verloren, bis uns das klarwurde. Die Kubaner haben noch mehr verloren. Aber es scheint keine Beeinträchtigung von elektronischen Signalen oder Geräten zu geben. Ich denke, es handelt sich um etwas Ähnliches wie eine Neutronenbombe. Es merzt die Menschen aus und lässt die Infrastruktur intakt.«
    Noch während er dies sagte, rebellierte der vernünftige Teil seines Gehirns dagegen. Er sprach hier von seiner Frau und seinen Kindern. Sie gehörten zu den Menschen, die »ausgemerzt« worden waren. Sie waren hinter diesem Vorhang verschwunden, genau wie Núñez’ Männer. So wie alle anderen Menschen ein Stück weiter nördlich von hier.
    Es geht ihnen gut, wiederholte er immer wieder. Es geht ihnen gut, und sie werden bald wieder zu Hause sein.
    Die Stimme von Admiral Ritchie wurde undeutlich, und Musso fragte sich, ob er hinsichtlich der nicht vorhandenen Störungen womöglich zu optimistisch gewesen war, aber dann konnte er die Stimme wieder gut hören.
    »Okay, also dann schauen Sie sich mal den Film an, den meine Leute Ihnen zuschicken. Ich berufe dann eine Videokonferenz aller … verfügbaren Kommandeure ein, in zwanzig Minuten.«
    Der Admiral klang wie ein sehr alter Mann.
    Auch er hatte Familie zu Hause. Aber das hier war viel schlimmer, als seine Familie zu verlieren. Viel, viel schlimmer.
     
    An der Videokonferenz, die von Pearl auf Hawaii aus geleitet wurde, nahmen die Kommandanten aller noch vorhandenen regionalen Militärstrukturen teil. Musso war als einziger Repräsentant des NORTHCOM-Bereichs verfügbar.
So war der Sprachgebrauch. Er war nicht der einzige Überlebende, sondern der einzige »Verfügbare«. Musso hielt das für ein überaus schlechtes Zeichen.
    Er saß hinter dem Schreibtisch des »nicht verfügbaren« Kommandanten der Marinestreitkräfte auf Guantánamo in einem kleinen, karg eingerichteten Büro neben der Kommandozentrale der Marinebasis. Feuchte graue Wände um ihn herum und keine persönlichen Dinge, die das kahle Interieur relativierten. Der Sony-Plasmaschirm auf dem Tisch war eben erst von einigen Technikern der Navy aufgestellt worden, so dass er keine Zeit gehabt hatte, sich an diesem fremden Ort irgendwie heimisch zu fühlen. Ein Panel auf dem Schirm war gefüllt mit Berichten ziviler Nachrichtensender und nicht öffentlich zugänglichen militärischen Quellen. Ein Fenster zeigte Luftaufnahmen von Washington mit englischen Untertiteln, die über einen kyrillischen Text gelegt waren. Woher das russische Material kam, wurde nicht erklärt. Vielleicht war es illegal aus dem Netz gezogen worden oder gekauft oder einfach nur geschenkt. Das war nur ein winzigkleines Rätsel, das zu dem allumfassenden Mysterium der menschenleeren Bilder hinzukam. Mindestens die Hälfte von Washington war auf einem Pop-up-Fenster zu sehen. Musso bemerkte Dutzende von Feuerherden, die unkontrolliert brannten und in deren Nähe keine Menschenseele zu sehen war. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell das menschliche Bewusstsein sich an eine derart absurde, geradezu beleidigend irrationale Situation gewöhnte. Er hatte sich gedanklich längst damit abgefunden, dass das, was er hier sah, die Wirklichkeit war und es keinen Weg zurück gab. Aber sein Gefühl war noch nicht so weit, verursachte ihm Bauchgrimmen, wenn er seinen Blick über die entvölkerte amerikanische Hauptstadt gleiten ließ. Vielleicht lag es ja auch an den russischen Bildunterschriften.
    »Die Verbindung ist sicher.«

    Die körperlose weibliche Stimme hätte von überall herkommen können, aber Musso ging davon aus, dass sie zu den Kommunikationsspezialisten in Pearl gehörte. Der Konferenz-Bildschirm war zweigeteilt. Die eine Seite nahm das Gesicht von Admiral James Ritchie ein, während die andere sich in vier kleinere Fenster aufteilte, in denen die Kommandanten der anderen Einsatzbereiche zu sehen waren. Abgesehen von General Jones von der Marineinfanterie, der die amerikanischen Streitkräfte in Europa unter sich hatte, kannte Musso keinen von ihnen persönlich. Aber natürlich hatte er schon von Tommy Franks, dem Chef von CENTCOM gehört. Das längliche, wettergegerbte Gesicht war weltweit bekannt als das des Anführers der Koalitionsstreitkräfte gegen Saddam Hussein. Musso konnte sich vorstellen, unter welchem immensen Druck er jetzt stand. Franks blickte grundsätzlich melancholisch drein, aber heute, fand Musso, war dieser Ausdruck noch wesentlich deutlicher auf seinem zerfurchten Gesicht

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