Der Effekt - Roman
tauchen.
Caitlin hatte diese Fluchtwohnung noch nie benutzt. Sie hatte sie nur für den schlimmsten Fall angemietet, als Ort des Rückzugs, den sie maximal sechs Monate lang bewohnen durfte, bevor sie sich einen neuen Fluchtpunkt aussuchte. Wenn sie eine dieser Wohnungen aufgesucht hatte, durfte sie nie mehr zurückkommen, es sei denn, ihre Tarnung war aufgeflogen, was bislang nur ein einziges Mal passiert war, vor sechs Jahren in Berlin. Damals
war ihr klargeworden, dass sie solche Verstecke dringend benötigte, egal wie teuer sie waren und wie viel Mühe es bereitete, sie ohne die direkte logistische Unterstützung von Echelon zu besorgen.
Nachdem sie eine ganze Weile aus dem Fenster gestarrt hatte, merkte sie, dass ihr Unwohlsein sich abgeschwächt hatte und von einem leeren Gefühl im Magen abgelöst worden war. Sie warf einen letzten Blick auf die verlassene Straße und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Es war schon spät, aber sie musste dringend etwas zu sich nehmen. Wenn es möglich war, aß sie so viel sie konnte, um Energie für die mitunter langen Perioden anzusammeln, in denen sie nichts außer Wasser herunterbekam und nur Minzebonbons lutschen konnte. Aus irgendeinem Grund schienen die Minzebonbons gegen ihre Übelkeit zu helfen. Sie unterdrückte ein Seufzen, als sie die kleine Küche betrat, und machte sich nicht die Mühe, den Lichtschalter zu betätigen. Die Birne war sowieso durchgebrannt.
Neben einem Karton mit frischem Obst und Gemüse, den Monique für teures Geld erstanden hatte, gab es noch jede Menge eingeschweißte und in Dosen verpackte Lebensmittel, die mindestens für zwei Wochen reichen würden, bei ihrem momentanen geringen Appetit womöglich sogar einen ganzen Monat. Caitlin drehte den Hahn auf und ließ das Wasser so lange laufen, bis es nicht mehr braun verfärbt war. Als es halbwegs klar war, füllte sie einen Topf, gab Salz dazu und stellte ihn auf den Gasherd. Glücklicherweise ging die Flamme auch wirklich an, als sie das Streichholz gegen den Brenner hielt. Am Vortag war die Gasversorgung des Hauses für eine Weile unterbrochen gewesen. Während sie sich in der Küche zu schaffen machte, wurde ihr Hunger immer größer, und sie entschied sich, doch eine etwas reichhaltigere Mahlzeit zuzubereiten.
Sie schnitt eine Zwiebel in kleine Würfel und schob sie beiseite. Dann öffnete sie eine Dose Thunfisch und gab den Inhalt in eine Schüssel. In einer weiteren Dose schwammen vier dicke Tomaten in ihrer eigenen Soße. Caitlin spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Der Hunger und die Vorfreude auf das Essen erfasste sie, und ihr wurde leicht schwindelig. Sie hatte keine Ahnung, warum ihre Übelkeit verschwunden war, aber sie wollte die Gelegenheit nutzen. Im Kühlschrank lag ein angetrocknetes Stück Speck, das sie nun ebenfalls in Würfel schnitt und zusammen mit der Zwiebel und dem Öl aus der Thunfischdose anbriet. Ein letzter verschrumpelter Champignon kam in die Pfanne, in der es bereits laut zischte.
Als das Wasser kochte, gab sie ein dickes Bündel Spaghetti hinein und drückte sie ins Wasser, als sie weich wurden. Der Thunfisch kam in die Pfanne, ebenso wie die Tomaten und die Soße. Sie drehte die Flamme herunter, damit die Pasta nur noch köchelte. Es war eine altbekannte Mahlzeit, eins von drei Rezepten, die ihr Vater beherrscht hatte, neben Strammer Max und Labskaus. Das Rezept, das wusste sie inzwischen, war ein italienischer Klassiker, der eigentlich mit getrockneten Steinpilzen zubereitet wurde, aber für sie war es immer »Daddys tolle Nudelsoße« gewesen. Als Teenager hatte sie ihn angebettelt, Massen davon zuzubereiten und einzufrieren, damit sie es in ihre Surfferien mitnehmen konnten. Nach sieben oder acht Stunden auf den Wellen vor der kalifornischen Küste konnte sie drei Portionen davon verdrücken.
Die Erinnerung verblasste, Tränen schossen ihr in die Augen und nahmen ihr die Sicht. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Ihre Eltern hatten nie genau erfahren, welcher Art von Arbeit sie nachging, aber ihr Vater, ein alter Air-Force-Offizier, hatte auch einige weiße Flecken in seiner Biografie. Er fragte sie nie, wieso sie als Büroangestellte
des Information Service so viel reisen musste und sich manchmal eine ganze Weile nicht meldete. Er sprach sie nie auf ihre vielen Narben an oder die Knochenbrüche und Schnittwunden, die sie sich über die Jahre zugezogen hatte. Anderen Familienmitgliedern gegenüber erklärte sie die
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