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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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eindringen.
    Sie wusch sich ihr wächsernes Gesicht mit kaltem Wasser und musterte sich im Spiegel. Sei sah überhaupt nicht gut aus. Geschwollene Augenlider, hohle Wangen, tiefe Falten. Aber zurzeit sahen fast alle Menschen in Paris so aus. Jetzt gab es nicht mehr viele Partys zu Ehren der neuen Weltordnung. Die Menschen blieben lieber zu Hause und kümmerten sich um ihre Familien oder zogen draußen, ohne Rücksicht auf die giftige Atmosphäre, in Horden herum. Inzwischen umgab ein Ring von immer wieder aufflackernden Feuern die Stadt. Zunächst hatten einige Dummköpfe die Gelegenheit für Plünderungen genutzt, aber inzwischen hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Randalierern und der Polizei in den Vorstädten zu regelrechten Straßenschlachten ausgeweitet. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatten sich außerdem die Meldungen über Massenschlägereien zwischen »Migrantenbanden« und »weißen Jugendlichen« gehäuft.
    Zwischen moslemischen Spinnern und faschistischen Skinheads, dachte Caitlin. Der Funke war übergesprungen, und es brannte lichterloh.
    Sie trocknete sich das Gesicht ab.
    Das alte Badezimmer im hinteren Bereich der Wohnung, ein deprimierender dunkler Raum mit grünen Kacheln
und einer gelblichen Badewanne, war nicht gerade der freundlichste Ort, um sich selbst im Spiegel kritisch zu betrachten. Aber es war wenigstens niemand sonst in dem Apartment. Es war sehr karg eingerichtet, und sie hatte das nötige Geld von einem geheimen Konto genommen, das nicht mal in den Aufzeichnungen von Echelon vermerkt war. Es gab ein Bett, ein Sofa, einen Tisch, einen Kühlschrank in der kleinen Küchenzeile, ein Herd mit zwei Gasflammen, eine Mikrowelle. Außerdem ein Versteck unter den Kacheln im Badezimmer, wo sie Geld und drei verschiedene Reisepässe aufbewahrte. Niemand kannte diese Wohnung, nicht einmal Wales.
    Einstweilen war es in keinem Fahndungsraster vermerkt, von ihren Verfolgern noch nicht entdeckt und relativ sicher und deshalb als Unterschlupf besser geeignet als ihr erster Anlaufpunkt in der Nähe des Friedhofs. Allmählich wurde ihr auch klar, was passiert war. Das Auftauchen ihrer Verfolger im Krankenhaus konnte eigentlich nur bedeuten, dass ihre Verbindungszelle geknackt worden war, möglicherweise sogar das ganze Echelon-Netzwerk.
    Normalerweise hätte sie sich aus dem Staub gemacht, wäre völlig von der Bildfläche verschwunden, aber ihr Unwohlsein schien sich Tag für Tag zu verschlimmern. Mit Schrecken hatte sie festgestellt, dass sie auf Moniques Hilfe angewiesen war. Jetzt durch feindliches Gebiet zu flüchten, um sich in Sicherheit zu bringen, war absolut unmöglich.
    Und wohin sollte sie auch gehen?
    Wales war nicht erreichbar, wahrscheinlich hatten sie ihn gefasst. Und das bedeutete angesichts der strikten Organisationsstruktur von Echelon, dass sie ganz auf sich allein gestellt war. Es gab keine Schlupflöcher oder Anlaufpunkte mehr. Abgesehen von toten Briefkästen und geheimen Anlaufpunkten war das Echelon-Netzwerk auf
dem Kontinent nicht präsent. Es gab keine Außenposten oder Zentren, lediglich einen wechselnden Pool von Agenten wie sie, die nur für einen jeweils speziellen Fall eingesetzt wurden. Und nun wurde sie verfolgt.
    Aber wieso ausgerechnet jetzt? Was steckte dahinter?
    Im Spiegel sah sie, wie ein Punkt an ihrer Wange zu zucken begann. »Relativ sicher«, das bedeutete zurzeit in Paris nicht viel. Caitlin zog an der Schnur, die von der nackten Glühbirne herabhing, und machte das Licht aus. Ob sie das nächste Mal, wenn sie Licht brauchte, wieder anging, war ungewiss. Die Versorgung der Stadt mit Elektrizität war unsicher geworden. Gestern hatte es einen dreistündigen Stromausfall gegeben, und heute Morgen war nur braunes kaltes Wasser aus den Hähnen gekommen.
    Sie schlich leise den kurzen Flur entlang, um Monique nicht aufzuwecken, die in ihrem Zimmer schlief. Es war schon nach Mitternacht, und das einzige Licht in der Wohnung kam durch die Fenster von den Laternen, die draußen eine Straßenkreuzung beleuchteten. Sie trat ans Fenster und achtete darauf, dass ihre Silhouette von draußen nicht zu erkennen war. Noch immer lagen tote Vögel auf den Pflastersteinen. Ein dünner schmutziger Hund schnappte sich einen Kadaver und lief davon. Die Laternen verströmten ein blasses Licht, und darüber hing drückend die schwarze Wolke des Smogs. Die lodernden Feuer in den Vorstädten trugen das ihre dazu bei, die Nacht in ein gespenstisches Licht zu

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