Der Effekt - Roman
müsste sie zugeben, dass nicht nur ihre Mission, sondern ihre ganze Welt zu Bruch gegangen waren. Sie schaute aus dem Fenster, ohne die triste Situation wirklich wahrzunehmen. Sie sehnte sich nach Wales, ihr fehlte dieses sichere Gefühl, dass er irgendwo dort draußen war, sie überwachte und ihr den Rücken deckte, sich um sie kümmerte.
Sie fühlte sich schuldig, weil sie ihm nicht helfen konnte. Dabei wusste sie nicht einmal, ob er in Amerika gewesen war, als alle verschwunden waren. Vielleicht war er aus Paris und sogar aus Frankreich geflüchtet, als sie im Krankenhaus gelandet war.
Ihre antrainierte Professionalität gewann wieder die Oberhand. Es machte keinen Sinn, wild herumzuspekulieren, sie musste mit dem klarkommen, was sie wusste, und auf die Situation reagieren, wie sie sie vorfand.
»Ihr solltet mich zu meiner Zielperson führen«, erklärte sie. »Zu einem Mann, einem Blindenwerber namens Al-Banna.«
Monique blickte verwirrt drein.
»Einen Blinden? Ich kenne keinen Blinden.«
Caitlin schüttelte den Kopf. »Entschuldige, das war Berufsjargon. Al-Banna ist nicht blind. Ihr seid es. Er hat eure Gruppe als Boten benutzt. Ihr solltet etwas für ihn nach Großbritannien bringen.«
»So ein Blödsinn!«, rief Monique wütend aus. Sie glaubte ihr kein Wort. »Von diesem Al-Banna habe ich nie gehört. Und auch die anderen haben diesen Namen nie erwähnt. Hältst du uns für so dumm?«
Caitlin bemühte sich, möglichst ausdruckslos dreinzublicken. Monique schien das nicht zu registrieren. Irgendeine Hemmschwelle in ihr war durchbrochen worden, und nun brach ihre Wut sich Bahn.
»Wir sind keine Dummköpfe, lass dir das gesagt sein! Wir sind nicht blind und auch nicht einäugig. Wir haben Unterdrückung und Gewalt auf beiden Seiten gesehen. Nicht nur du und deine Vorgesetzten. Ich habe als Freiwillige in einem Flüchtlingslager für Frauen gearbeitet. Ich habe gesehen, was unter den Burkas verborgen war. Gebrochene Arme, kaputte Rippen, Prellungen überall. Glaube nicht, dass wir nicht wissen, was für Menschen eure Feinde sind, nur weil wir gegen euren Ölkrieg sind. Ihr seid beide gleich schlecht. Vielleicht sind die anderen sogar noch schlimmer, könnte sein, aber sie haben nicht eure Motive. Also lass mich mit deiner dummen Verschwörungstheorie in Ruhe, so etwas ist einfach nicht …«
»Monique«, sagte Caitlin seufzend. Die unendliche Müdigkeit in ihrer Stimme ließ Monique innehalten.
»Was denn?«
Caitlin schüttelte bedauernd den Kopf. »Herzchen, du bist schon längst rekrutiert worden.«
»Wie meinst du das? Von wem denn?«
Caitlin entschloss sich, ihr reinen Wein einzuschenken.
»Von deinem Freund.«
19
Acapulco Yacht Club, Acapulco
Die Gurkhas waren eine echte Entdeckung, der erste Glücksfall seit einer Woche. Die berühmten nepalesischen Krieger gehörten einst zu den besten Regimentern der Britischen Armee. Alle hatten gehörigen Respekt vor ihnen, aber das war nicht das eigentlich Besondere an ihnen. Gewaltbereite Männer gab es genug in der Welt, aber die Gurkhas waren etwas Besonderes, weil sie ihren sagenhaften wilden Kampfgeist mit einer ungewöhnlichen Disziplin verbanden. In der britischen Armee dienten die Gurkhas seit 1850 in der Infanterie, und noch immer existierte das Regiment, das nach ihnen »Gurkha Infantry« genannt wurde. Ihr Ansehen war so groß, dass ehemaligen Soldaten dieser Einheit händeringend von privaten Sicherheitsunternehmen gesucht wurden. Auch das unterschied sie von anderen Veteranen. Die fünf Gurkhas, die Jules nun gegenüberstanden, zeichnete noch etwas aus: Sie hatten bis vor einer Woche auf einem Kreuzfahrtschiff der Carnival Cruise Line gearbeitet.
Der Effekt hatte sie ihrer Arbeit beraubt, und sie hatten auch keine Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren. Julianne nagte an ihrem Bleistift und überlegte, wie viel tatsächlich legale Arbeit sie ihnen überhaupt bieten konnte, aber dann schob sie diesen Gedanken beiseite. Im Augenblick brauchte sie ein paar harte, verlässliche Männer, die nicht gleich zusammenbrachen, wenn jemand eine Waffe auf sie richtete, und denen man vertrauen konnte.
»Und Sie, Mr. Shah, wie lange haben Sie im Regiment gedient?«
»Zwölf Jahre, Ma’am«, antwortete der kleine kräftige Anführer der Gruppe. Seine Aussprache war überaus korrekt für einen Sergeant aus Nepal. »Vier Jahre als Soldat, acht als Unteroffizier.«
»Als Sergeant?«
»Die letzten sechs Jahre, ja.«
Jules studierte die
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