Der Effekt - Roman
Wunden immer mit Verletzungen, die ihr beim Surfen passiert waren. Während einer Hochzeit in der Familie hatte er sie vor einiger Zeit einmal beiseitegenommen, nachdem sie nach den Ereignissen vom 11. September vier Monate lang im Einsatz gewesen war. Er hatte ihr versichert, dass er stolz darauf war, dass »sein Mädchen« so gute Arbeit leistete und dass ihre Eltern sie lieben und zu ihr halten würden. Dave Monroe war ein Veteran des geheimen Krieges von Richard Nixon in Kambodscha. Er hatte seiner Tochter sehr lange in die Augen gesehen und nichts weiter sagen müssen. Er wusste, dass seine Tochter ein Soldat war.
»Caitlin?«
Sie hatte gehört, wie Monique den Flur entlangschlurfte und sich die letzten Tränen aus den Augen gerieben, um zu verhindern, dass die Französin sie in einem schwachen Augenblick ertappte. Trotzdem waren ihre Augen noch immer gerötet und glänzten, als sie sich umdrehte und die Zwiebelhaut hochhielt, um diesen Umstand zu erklären. Monique schien sich nichts dabei zu denken. Offenbar war sie vom Essensgeruch aufgewacht.
»Hast du Hunger?«, fragte sie. »Ist dir nicht mehr übel?«
In Moniques Stimme schwang etwas Hoffnung mit. Für eine naive Idealistin hatte sie sich als erstaunlich hart im Nehmen und überraschend zuverlässig erwiesen. Caitlin war an längere Phasen völliger Isolation und Einsamkeit gewöhnt und hatte sich in Gesellschaft der Französin kaum eine Schwäche erlaubt. Sie goss die Nudeln ab und gab sie in eine Schüssel und vermischte sie sofort mit der heißen Soße.
»Im Moment geht’s mir ganz gut«, sagte sie. »Also werde ich essen. Du kannst gern was abhaben. Es ist ein bisschen spät für ein Abendessen, ich weiß, aber so wie es aussieht, kann ich mir das nicht aussuchen.«
»Ich habe auch Hunger«, gab Monique zu. »Seit heute Morgen habe ich nichts mehr gegessen. Es ist auch so schwer geworden, gute Nahrungsmittel zu bekommen.«
Caitlin schöpfte zwei große Portionen auf zwei Porzellanteller, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. »Es ist wirklich Pech, dass wir uns nicht frei bewegen können, weil es mir so schlecht geht«, sagte sie. »Tut mir leid, Monique. Es tut mir auch leid, dass du in all das hineingezogen wurdest.«
»In all das?«, fragte Monique und machte eine Geste, mit der sie die Geschehnisse draußen in der Welt mit einschloss. »Das ist doch nicht deine Schuld. Das wäre auch passiert, wenn wir uns nicht getroffen hätten. Schau dir die Welt da draußen an. Es ist wirklich traurig. Die Menschen benehmen sich schlecht. Damit hast du doch nichts zu tun.«
Sie deutete auf das Fenster, an dem Caitlin eben gestanden hatte. Von der dunklen Wohnung aus konnte man die Feuer in den Vorstädten, die am Rand des Blickfelds über der dunklen Stadt flackerten, sehr gut sehen. Hier und da leuchteten die blauen und roten Lichter der Polizei-, Feuerwehr- oder Sanitätsfahrzeuge auf, aber es wirkte, als könnten sie nichts gegen das Unheil ausrichten. Paris stand kurz vor dem Zusammenbruch, und Caitlin fragte sich, ob das den Bürgern überhaupt klar war. Wahrscheinlich nicht. Falls sie wirklich wüssten, was auf sie zukam, dann würde ein einziges Chaos ausbrechen. Die Gedankengänge zivilisierter Menschen waren langsam und zögerlich, man war gewöhnt, erst abzuwägen, bevor man handelte. Und das bedeutete, dass Caitlin und Monique vielleicht doch noch eine Chance hatten, zu entkommen.
Sie gingen mit den Tellern in der Hand zum Fenster und aßen dort ihre Nudeln. Es war eine Art Ritual zwischen ihnen geworden, um so zu tun, als wären sie nicht in dieser engen Wohnung gefangen. Für Caitlin war es kein großes Problem, aber Monique fühlte sich eingeengt und wollte nach draußen flüchten. Dort aber wurde es auch immer enger, der Himmel schien sich herabzusenken, und alles wurde ständig schmutziger und unangenehmer. Außerdem suchten ihre Verfolger immer noch nach ihnen. Dass es keine offizielle Reaktion auf die Vorfälle im Krankenhaus gegeben hatte wie auch das Auftauchen der Männer vor dem anderen Sicheren Haus hatte Monique davon überzeugt, dass die Angelegenheit, in die Caitlin verwickelt war, viel komplizierter und gefährlicher war, als sie gedacht hatte. Sie war keine Fanatikerin, sie hatte sich nicht freiwillig auf die dunkle Seite des Daseins begeben, wie Caitlin es ausgedrückt hatte. Aber inzwischen vertraute sie der Amerikanerin mehr und war bereit, ein Stück weit ihren Weg zu gehen.
Sie aßen schweigend und genossen
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