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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Deckung
bieten konnte. Manche fanden Schutz in einem Hauseingang, andere stürzten Schutz suchend durch ein Loch in einer Hauswand, das vor einigen Stunden von einer Granate geschlagen worden war.
    Oh, Scheiße, dachte Melton. Er warf sich auf den Boden und machte sich so flach wie möglich und suchte gleichzeitig in allen Richtungen nach einer Deckung. Ein offener Laden auf der anderen Straßenseite sah vielversprechend aus.
    Er sprang auf die Füße und hatte keine Zeit, sich über seine Schnelligkeit zu wundern. Noch mehr Geschosse flogen in ihre Richtung, und sie kamen mit einer überraschenden Präzision herein. Offenbar hatten die Iraker sie schon lange gesichtet und nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet. Die meisten Geschosse krachten in die Dächer, aber eine Granate landete mitten im Lager der Truppe und explodierte mit einer derartigen Wucht, dass Melton hochgehoben und kopfüber durch die Luft geschleudert wurde.
    Er nahm wie in Zeitlupe wahr, dass er sich mehrfach überschlug. Es war, als hätte sich sein Bewusstsein von seinem Körper getrennt, der wie eine Marionette ohne Fäden, die im Bruchteil einer Sekunde zerrissen waren, willenlos herumpurzelte. Er sah sich selbst, wie er durch die Luft wirbelte, inmitten eines Sturms aus Schmutz, Sand und Steinen, um sich herum die abgerissenen Gliedmaßen seiner Kameraden und Trümmerteile aus Holz und Metall. Bret Melton, der frühere US Army Ranger, wurde so weit hochgeschleudert, dass er glaubte, von dort oben die ganze Stadt überblicken zu können und alles, was dort vor sich ging: die wilden Häuserkämpfe, die in einigen Stadtteilen und Straßen noch immer weitergingen. Die Ruinen, in denen sie eben in einen Hinterhalt geraten waren. Hunderte von irakischen Soldaten und Milizionäre, die auf sie zu rannten. Er konnte sogar noch weiter sehen, über
die weite Wüstenfläche, die weit oben im Norden vor einer Bergkette endete. Er konnte die Schiffe der US-Flotte sehen, die ihre Kanonen in den Himmel richteten, der mit iranischen Kampfflugzeugen übersät war. Und ganz weit hinten, im hintersten Raum seiner Wahrnehmung, konnte er sogar das menschenleere Gebiet erkennen, das brennende Land, das einmal seine Heimat gewesen war. Den verlorenen Kontinent Amerika.
    Melton sah all diese Dinge oder dachte zumindest, dass er sie sehen könnte. Dann fiel er wieder auf die Erde zurück, und schwarze Dunkelheit senkte sich über ihn.

18

Paris, 17. Arrondissement, Sicheres Haus
    Sie war krank. Ihre Übelkeit wurde immer schlimmer. Manchmal war sie kurz davor, sich übergeben zu müssen. Caitlin hatte keine Ahnung, ob das ein Nebeneffekt ihrer Kopfschmerzen war, die jetzt schon drei Tage anhielten, oder ein neues Symptom dieses Dings, das sich da in ihrem Kopf eingenistet hatte. Natürlich konnte es genauso gut ein Ergebnis des Einatmens dieses Gestanks sein, der sich überall ausgebreitet hatte, nachdem eine gigantische Wolke giftiger Substanzen und verbrannter Chemikalien vor drei Tagen über die Stadt gekommen und hängen geblieben war. Wie eine verkohlte, atomisierte Erinnerung an Amerika. Ein Journalist des »Guardian«, der über einen sehr schwarzen Humor verfügte, hatte es »atmosphärische Vergiftungserscheinung« genannt, und der Begriff hatte sich schnell eingebürgert.
    Im Radio wurden ständig Warnungen der französischen Regierung wiederholt, in denen die Hörer angewiesen wurden, ihre Wohnungen wenn möglich nicht zu verlassen. Caitlin wunderte sich, dass man es überhaupt für nötig hielt, den Leuten das mitzuteilen. Millionen Seevögel waren an der französischen Atlantikküste tot angeschwemmt worden, kurz bevor die gigantische Giftwolke aufgetaucht war. Wenig später waren Tausende von Tauben - fliegende Ratten, wie sie sie immer nannte - vom Himmel gefallen, der eine fahle bleierne Farbe angenommen hatte. Wenn sie aus dem Fenster schaute, konnte sie
Dutzende von Vogelkadavern unten auf der Straße sehen. Die Stadtreinigung hatte die Straßen gesäubert, aber das war am Dienstag gewesen, und seitdem war niemand mehr gekommen, um erneut die verstümmelten toten Tiere wegzuräumen.
    Die wenigen Male, die Caitlin draußen gewesen war, um neue Lebensmittel einzukaufen, war sie mit tränenden Augen und einem Brennen im Hals zurückgekommen. Es erinnerte sie an einen Job in Lin-Fen, einer Stadt in der chinesischen Provinz Shanxi, wo man unter freiem Himmel ständig das Gefühl hatte, Säuren und Gifte würden direkt durch die Haut in den Körper

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