Der Ego-Tunnel
Form von Wissen über die emotionalen Zustände eines Mitmenschen. Sobald wir diese Form von Gewahrsein besitzen, können wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, unser körperliches Verhalten daran anpassen oder es mit Erinnerungen aus der Vergangenheit assoziieren. Phänomenale Zustände stellen nicht einfach nur Tatsachen über Beeren oder über die Gefühle anderer menschlicher Wesen dar; sie binden all dies auch in ein globales Verarbeitungsstadium ein und erlauben es uns, all unsere geistigen Fähigkeiten einzusetzen, um sie weiter zu erforschen. Kurz, einzelne bewusste Erlebnisse oberhalb der Gegenstandsebene sind virtuelle Organe, die uns vorübergehend Wissen zur Verfügung stellen, und zwar in einem völlig neuen Datenformat – dem Bewusstseins-Tunnel. Und unser einheitliches globales Modell einer einzigen Welt liefert den ganzheitlichen Bezugsrahmen, in dem all dies stattfinden kann.
Wenn ein Lebewesen wie Homo sapiens die zusätzliche Fähigkeit evolviert, Offline -Simulationen in seinem Geist ablaufen zu lassen, dann kann es mögliche Welten repräsentieren – Welten, die nicht als gegenwärtig erlebt werden. Eine solche Spezies kann erstmals ein episodisches Gedächtnis besitzen. Sie kann die Fähigkeit zu planen entwickeln. Sie kann sich selbst fragen: »Wie sähe eine Welt aus, in der ich viele Kinder hätte? Was für eine Welt wäre es, in der ich vollkommengesund wäre? Oder reich und berühmt? Und was kann ich tun, damit das tatsächlich geschieht? Kann ich mir einen Pfad vorstellen, der von der gegenwärtigen Welt in diese vorgestellte Welt führt?«
Ein solches bewusstes Lebewesen kann sich auch die Möglichkeit der geistigen Zeitreise zunutze machen, weil es zwischen der »Innenzeit« und der »Außenzeit« hin und her schalten kann. Es kann aktuelle Erlebnisse mit vergangenen vergleichen – es kann aber auch halluzinieren oder sich in seinen eigenen Tagträumen verlieren. Wenn es diese neuen mentalen Fähigkeiten richtig einsetzen will, muss sein Gehirn ihm also ein robustes und zuverlässiges Verfahren liefern, um den Unterschied zwischen Repräsentation und Simulation zu erkennen. Unser Lebewesen muss in der wirklichen Welt verankert bleiben, denn wenn man sich selbst in Tagträumen verliert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein anderes Tier vorbeikommt und einen auffrisst. Deshalb braucht man einen Mechanismus, der einem zuverlässig den Unterschied zwischen der einen realen Welt und den vielen möglichen zeigt. Und dieser Trick muss auf der Ebene des bewussten Erlebens selbst funktionieren, was keine leichte Sache ist. Wie wir gesehen haben, ist das bewusste Erleben ja schon eine Simulation und bringt das Subjekt des Erlebens niemals in direkten Kontakt mit der Wirklichkeit. Die Frage lautet also: Wie kann man vermeiden, dass man sich im Labyrinth des eigenen bewussten Geistes verliert?
Eine Hauptfunktion des transparenten bewussten Realitätsmodells besteht darin, Tatsächlichkeit (Philosophen sagen manchmal auch »Faktizität«) darzustellen – also einen felsenfesten Bezugsrahmen für den Organismus zu erzeugen: etwas, das ausnahmslos und ohne jeden Zweifel definiert, was real ist (sogar dann, wenn das gar nicht stimmt), etwas, mit dem man nicht herumspielen kann und das sich nicht umgehen oder austricksen lässt. Transparenz löste das Problem, eine Vielzahl möglicher innerer Welten zu simulieren, ohne sich in ihnen zu verlieren, und das geschah, indem sie es biologischen Organismen gestattete, explizit die Tatsache darzustellen, dass eine dieser Welten die aktuelle, die echte Wirklichkeit ist. Ich nenne das die »Welt-Null-Hypothese«.
Menschen wissen, dass sich manche ihrer bewussten Erlebnissenicht auf die wirkliche Welt beziehen, sondern bloß Bilder in ihrem Geist sind. Jetzt können wir sehen, wie grundlegend dieser Schritt war, und seine funktionale Bedeutung erkennen. Nicht nur waren wir nun in der Lage, bewusste Gedanken zu haben, wir konnten sie auch als Gedanken erleben, anstatt einfach zu halluzinieren oder uns in einer Phantasie zu verlieren. Dieser Schritt verlieh uns unsere überragende Intelligenz. Er ermöglichte es uns, unsere Erinnerungen, Ziele und Pläne mit der gegenwärtigen Situation zu vergleichen, und half uns dabei, nach geistigen Brücken aus der aktuellen Gegenwart in eine wünschenswertere Wirklichkeit zu suchen.
Die Unterscheidung zwischen Dingen, die uns nur auf eine bestimmte Weise erscheinen, und wirklichen, objektiven Tatsachen wurde ein
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