Der Ego-Tunnel
Hirnzustände besitzen auch eindeutig das, was Philosophen einen repräsentationalen Inhalt nennen. Es gibt rezeptive Felder für die verschiedenen Sinnesreize. Wir wissen, wo emotionale Inhalte entstehen, wir kennen gute Kandidaten für den Sitz des episodischen Gedächtnisses im Gehirn, und so weiter.
Das bewusste Erleben hat auch einen Inhalt – phänomenalen Inhalt –, und wir sind ihm bereits in der Einleitung begegnet: Sein phänomenaler Inhalt ist der subjektive Charakter – die Art, wie sich ein Erleben ganz privat und innerlich für uns anfühlt , wie es ist, es zu haben. Aber dieser besondere Inhalt ist, so scheint es, nichts Öffentliches und nur für eine einzige Person zugänglich – für das erlebende Subjekt. Und wer ist das?
Um eine erfolgreiche Theorie des Bewusstseins zu entwickeln, müssen wir den phänomenalen Inhalt der Erste-Person-Perspektive mit den Inhalten von aus der Dritte-Person-Perspektive beobachteten Gehirnzuständen zur Deckung bringen. Auf irgendeine Weise müssen wir die Innenperspektive des erlebenden Selbst mit der Außenperspektive der Wissenschaft in Einklang bringen. Und viele von uns werden intuitiv immer davon überzeugt sein, dass dies niemals möglich sein wird. Viele denken heute, dass Bewusstsein (wie Philosophensagen) »ontologisch irreduzibel« ist, weil sich Erste-Person-Tatsachen nicht auf Dritte-Person-Tatsachen zurückführen lassen. Wahrscheinlicher ist es jedoch, das Bewusstsein (wie Philosophen sagen) »epistemisch irreduzibel« ist. Die Begriffe sind schrecklich, aber die Idee ist einfach: Es gibt eine einzige Wirklichkeit, eine Art von Tatsachen, aber zwei Arten von Wissen – Erste-Person-Wissen und Dritte-Person-Wissen. Obwohl Bewusstsein in Wirklichkeit ein physikalischer Vorgang ist, können diese zwei verschiedenen Formen des Wissens niemals miteinander in Einklang gebracht werden. Selbst wenn wir bis ins letzte Detail über die Hirnzustände einer Person Bescheid wissen sollten, wird uns das niemals erlauben zu erfassen, wie sie sich für die Person selbst von innen anfühlen. Es gibt kein metaphysisches Mysterium, sondern nur zwei grundverschiedene Weisen des Wissens oder Gegebenseins. So weit, so gut.
Aber der Begriff einer »Erste-Person-Perspektive« erweist sich genau in dem Moment als vage und unklar, in dem wir ihn etwas näher betrachten. Wer ist sie denn, diese mysteriöse erste Person ? Worauf bezieht sich das Wörtchen »ich«? Wenn es nicht gerade bloß auf den jeweiligen Sprecher eines Satzes zeigt, bezieht es sich überhaupt auf irgendetwas in dem uns bekannten Teil der Wirklichkeit? Ist die Existenz eines erlebenden Selbst ein notwendiger Bestandteil des Bewusstseins? Ich glaube das nicht – schon allein weil es »selbst-lose« Formen des bewussten Erlebens zu geben scheint. Bei bestimmten schweren psychiatrischen Störungen, wie etwa dem Cotard-Syndrom, hören die Patienten manchmal auf, das Pronomen der ersten Person zu verwenden, und – was noch erstaunlicher ist – behaupten, dass sie in Wirklichkeit gar nicht existieren. M. David Enoch und William Trethowan schreiben in ihrem Buch Uncommon Psychiatric Syndromes : »In der Folge kann es dazu kommen, dass die Person tatsächlich ihre eigene Existenz selbst bestreitet und sogar den Gebrauch des Personalpronomens ›ich‹ vollständig einstellt. Eine Patientin nannte sich selbst sogar ›Madame Zero‹, um ihre Nicht-Existenz zu betonen. Eine andere [Patientin] sagte mit Bezug auf sich selbst: ›Es hat keinen Sinn, es ist nutzlos. Wickeln Sie es ein und schmeißen Sie ›es‹ in den Mülleimer.‹« 20
Mystiker aller Kulturen und aller Zeiten haben über tiefe spirituelle Erfahrungen berichtet, in denen kein »Selbst« gegenwärtig war, und auch von ihnen haben einige einfach aufgehört, das Pronomen »ich« zu verwenden. Außerdem könnte es durchaus so sein, dass viele der einfachen Organismen auf diesem Planeten einen Bewusstseins-Tunnel haben, in dem niemand lebt. Vielleicht haben manche von ihnen nur eine »Bewusstseinsblase« anstatt eines Tunnels, weil zusammen mit dem Selbst das Bewusstsein von Vergangenheit und Zukunft verschwindet.
Wir sollten uns verdeutlichen, dass wir bis jetzt bei unserem Versuch, die Hauptprobleme für eine große vereinheitlichte Theorie des Bewusstseins zu definieren, immer nur von einem Minimalbegriff ausgegangen sind: dem Erscheinen einer Welt. Während Sie aber diese Sätze lesen, ist nicht nur das Licht an, sondern es ist auch jemand zu
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