Der Ego-Tunnel
Bestandteil unserer gelebten Realität, unserer Lebenswelt. (Man sollte nicht übersehen, dass dies sehr wahrscheinlich für die allermeisten anderen Tiere auf diesem Planeten nicht gilt.) Indem wir manche Elemente unseres Tunnels bewusst als bloße Bilder oder Gedanken über die Welt erleben konnten, wurden wir uns erstmals der Möglichkeit von Fehlrepräsentationen gewahr. Wir verstanden, dass man sich manchmal irren kann, weil die erlebte Realität nur eine spezifische Art von Erscheinung ist. Als der natürlichen Evolution entstammende Repräsentationssysteme konnten wir nun eine der wichtigsten Tatsachen über uns selbst in unserem Geist darstellen – nämlich, dass wir Repräsentationssysteme sind . Wir waren in der Lage, die Begriffe von Wahrheit und Falschheit zu erfassen, von Wissen und Illusion. Sobald wir diese Unterscheidung erfasst hatten, explodierte die kulturelle Evolution. Denn indem wir systematisch unser Wissen erweiterten und Illusionen minimierten, wurden wir immer intelligenter.
Die Entdeckung des Unterschieds zwischen Erscheinung und Wirklichkeit wurde möglich, weil wir erkannten, wie manche der Inhalte unseres bewussten Geistes intern konstruiert wurden, und weil wir den Konstruktionsvorgang introspektiv wahrnehmen konnten. Der Fachbegriff wäre hier phänomenale Opazität – genau das Gegenteil von Transparenz. All jene Dinge in der Evolution des Bewusstseins, die alt, besonders schnell und extrem zuverlässig sind, wiezum Beispiel die konkreten Qualitäten des sinnlichen Erlebens, sind transparent – das abstrakte bewusste Denken ist es nicht. Aus der Perspektive der Evolution ist Denken etwas sehr Neues, ziemlich unzuverlässig (wie wir alle wissen) und so langsam, dass man tatsächlich beobachten kann, wie es in unserem Gehirn stattfindet. Beim bewussten Nachdenken, im Gang der Überlegung, werden wir zu Zeugen der Bildung von Gedanken, denn bestimmte Verarbeitungsstufen sind für die introspektive Aufmerksamkeit verfügbar. Darum wissen wir, dass unsere Gedanken nichts Gegebenes sind, sondern etwas Gemachtes .
Das innere Erscheinen einer vollkommen realistischen Welt, gegenwärtig im Hier und Jetzt, war eine sehr elegante Weise, um einen Bezugsrahmen und einen zuverlässigen Ankerpunkt für all jene Arten von mentaler Aktivität zu erzeugen, die für höhere Formen von Intelligenz notwendig sind. Man kann mögliche Welten nur erfassen und entwerfen, wenn es bereits eine fest etablierte und robuste Realität erster Ordnung gibt. Das war der fundamentale Durchbruch – und auch die zentrale Funktion des Bewusstseins als solchem. Wie sich herausstellte, besaß der Bewusstseins-Tunnel ganz offensichtlich einen Überlebensvorteil und war adaptiv, weil er einen stabilen und vereinheitlichten Bezugsrahmen für höhere Ebenen der Wirklichkeitsmodellierung zur Verfügung stellte. Und trotzdem ist all dies noch nicht einmal die Hälfte der Geschichte: Uns steht noch ein letzter – und großer – Schritt auf der Leiter bevor. Unsere kurze tour d’horizon endet mit dem tiefsten und schwierigsten philosophischen Rätsel überhaupt: der Subjektivität des Bewusstseins.
Das Wer-Problem:
Was ist die Entität, die bewusste Erlebnisse hat?
Bewusstsein ist immer an eine individuelle Erste-Person-Perspektive gebunden, und dies ist einer der Hauptgründe dafür, warum es so schwer zu fassen ist. Es ist ein subjektives Phänomen. Jemand hat es. Auf eine tiefe und unbestreitbare Art und Weise ist Ihre innere Weltin der Tat nicht bloß irgendjemandes innere Welt, sondern Ihre innere Welt – ein privater Raum des Erlebens, zu dem nur Sie selbst direkten Zugang haben.
Der bewusste Geist ist kein öffentliches Objekt – das ist zumindest die orthodoxe Standardauffassung, die jedoch in der Zukunft einmal durch die Bewusstseinsrevolution widerlegt werden könnte. Auf jeden Fall sagt die traditionelle philosophische Sichtweise, dass die naturwissenschaftliche Forschung sich überhaupt nur mit Gegenständen befassen kann, die Eigenschaften aufweisen, die zumindest im Prinzip jeder von uns beobachten kann. Für Grün Nr. 24 gilt das nicht. Es gilt auch nicht für die ganz besondere sinnliche Erlebnisqualität, die mit dem Duft einer Mischung aus Ambra und Sandelholz verknüpft ist, oder für unser empathisches Erleben, wenn wir durch spontane innere Einfühlung die Emotionen eines anderen Menschen verstehen, der tränenüberströmt vor uns steht. Hirnzustände auf der anderen Seite sind beobachtbar.
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