Der Ehrengast
antworten, tat es dann aber nicht. Er lächelte Bray zu, wie um ihn auf Abstand zu halten. »Gut, weiter.«
»Ich glaube, daß manche deiner Ameisen an ihren eigenen Parlamentssitzen nagen.«
Mwetas Mund bewegte sich und entspannte sich wieder.
»›Sie stehen unter Beobachtung‹«, sagte Bray, »schön und gut. Und wer sonst noch? Wen sonst beobachtet man noch alles? Und warum? Warum, Mweta? Zu welchem Zweck? Ich werde einfach die Überzeugung nicht los, daß es keinerlei Ärger von seiner Seite gegeben hätte, hättest du ihm ein Ministerium gegeben. Und er wäre mit dem Ärger dann fertig geworden.«
»Er ist es, der ihn immer gemacht hat«, sagte Mweta. Und plötzlich, wie ein Schauspieler, der sich um sein Publikum bemüht, brach er mit glänzenden Augen und gespannt vorgebeugtem Körper, ganz geballter Jagdeifer, betörend, gestikulierend, los: »Shinza! Mit dem Tag der Selbstbestimmung hat er sich mit seiner Kritik gegen uns gewandt. Noch am gleichen Tag. Immerhat er mich beobachtet und innerlich seinen Kopf geschüttelt. Egal, worüber wir gerade diskutierten. Kein Vertrauen mehr zu irgendwem. Er hatte sich dazu entschlossen, er müsse nun uns, die anderen, so beobachten, wie er sie immer beobachtet hat. Ja! Du erinnerst dich doch? Bei den Gesprächen in London war immer er es gewesen, der anschließend daherkam und sagte: ›Ich glaube nicht, daß Soundso meint, was er sagt, er will Zeit gewinnen.‹ ›Soundso wird das tun, was der Chef der Kolonialverwaltung ihm sagt.‹ ›Den da müssen wir kleinkriegen …‹ Er beobachtete sie für uns, während wir zuviel damit zu tun hatten, uns zu überlegen, was wir als nächstes durchsetzen sollten. Er fand Dinge heraus, die mir entgangen waren, und oft hatte er recht und konnte einen warnen. Aber bei uns! Unseren eigenen Leuten! Im Zentralkomitee, bei den Ministern! Wie soll man denn unter solchen Umständen arbeiten? James, James« – seine Stimme senkte sich zu einem geduldigen Appell an die Vernunft, war sanft und dramatisch – »ich kann dir sagen, ständig hatte ich seinen Blick im Nacken. Ich frage ihn etwas – verstehst du, ich ging zu ihm wie eh und je; er war mein Vater, mein Bruder –, er hört mir zu, die Augen geschlossen, auf dem Gesicht ein Lächeln.« Mweta stand vor Bray und sah zu ihm herab. Er verharrte da, hielt, schweratmend, fast nach Luft ringend, inne wie jemand, der gleich losschluchzen wird, der keine Worte findet. »Ich hätte das Kernproblem nicht richtig verstanden. War mir denn klar, mit wem ich es zu tun hatte? – Seine Augen geschlossen. Um mich auszuhorchen. Ja, wie er es bei den Engländern im Gästehaus der englischen Regierung getan hat, die Engländer, die sich immer räusperten und so aussahen, als schliefen sie ein, aber das war der Augenblick, wo sie drauf und dran waren, dich zu erwischen. Es war verrückt, was? In Ordnung. Ich sagte mir, er ist dein Vater, dein Bruder.
In Ordnung
. Aber soll er es doch offen sagen. Soll er doch zur rechten Zeit sagen, was er von den Dingen hält, wie jeder andere auch. Dies hier ist eine Regierung und keine Geheimgesellschaft. Mach deine Augen auf, und schau mich an, Shinza! Aber ich habe den Mund gehalten. Lange Zeit,lange, lange Zeit. Habe ich dir jemals etwas davon erzählt? Letztes Mal in London? Du hast nie gewußt, wie das war. Ich schämte mich, verstehst du, ich wollte nicht, daß du weißt, wie er sich aufführte. Ich wollte es selbst nicht glauben. Aber ich kann’s mir jetzt nicht mehr leisten, über mich selbst nachzudenken. Tu ich das, muß ich raus« – er schlenderte zum Fenster und machte eine wegwerfende Geste zum Garten hin, der dort draußen in der regungslosen Hitze flimmerte. »Wir sind nicht mehr im Busch von Gala, wo wir nur mit uns selbst zu tun hatten. In diesem Land leben acht Millionen Menschen. Es geht einfach nicht an, daß ich wie eine Kuh am Hinterbein festgebunden bin. Als sich Clough und der britische Stabschef wegen des Verteidigungsvertrags trafen und die Frage einer Militärbasis an der Südgrenze aufs Tapet kam, fängt Clough an zu skizzieren, was er ›glaubt‹, wozu ich meine Zustimmung geben würde, und, mein Gott, da wird mir klar, daß er schon im vorhinein eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wo wir Konzessionen machen und wo wir nicht nachgeben würden – in der Frage der Raketenbasis zum Beispiel. Clough wußte offenbar, daß wir da etwas würden herausholen wollen, er war darauf vorbereitet, er redete nicht lange drum
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