Der Ehrengast
pinkeln.
Festus kam von hinten mit einem Kübel voll frischem Eis um das Haus herum. Er ergriff die Gelegenheit, daß Dando nicht da, gleichzeitig aber offenbar trotzdem in Hörweite war, um zu klagen: »Warum wohnt
mukwayi
diesmal nicht bei uns?« Er enthielt Bray das Eis vor, bis er antwortete.
»Ich wußte nicht, daß ich kommen würde, Festus, ich hab versucht anzurufen …«
Die Entschuldigung wurde angenommen, das Eis niedergestellt – ganz im Sinne der von Weißen vor langem eingeführten Konvention, die nun, sonderbarerweise, zu einem Teil des Ehrenkodex des alten Schwarzen geworden war, wonach die Angelegenheiten des »Master« seine eigenen waren.
»Mit Kalimo alles in Ordnung?« sagte er streng. Bray hatte Dando in einem Brief gebeten, Festus zu danken, als Kalimo aufgetaucht war. Sie plauderten einen Augenblick lang und fielen dabei in den örtlichen Dialekt zurück, den Bray nur stockend sprach, wobei ihm Festus dann und wann mit einem Wort aushalf.Während er die tiefen, leisen Ausrufe der Freude und Höflichkeit hervorbrachte, sammelte er ein oder zwei Sodaflaschen ein und verschwand, als Dando wieder auftauchte.
»Ja, der verdammte arme Shinza. Armer, verdammter Edward.« Dando sah jetzt gelassen drein. Er fing an, neue Drinks auszuschenken.
»Er hat eine neue, junge Frau und ein Baby«, sagte Bray lächelnd. »Er blüht und gedeiht.«
»Der alte Teufel!« Dando war entzückt; der Gedanke erfüllte auch ihn mit neuem Leben.
Und Zigaretten von jenseits der Grenze, und ein Haus in Mpanas Dorf. Aber das sagte Bray nicht. Es ging ihn nichts an. Dando sagte strahlend: »Hast du Mweta die frohe Botschaft überbracht?«
»Ich hab ihm gesagt, er soll Shinza kommen lassen. Sogar jetzt noch«, sagte Bray und beobachtete Dando dabei.
»Wenn er Shinza jetzt holen läßt, dann nicht mit einer Karte mit Goldrand.«
Ein Augenblick verging, dann sagte Bray: »Ich dachte, das wäre das einzige, wo du nicht mitmachen würdest – Shinza anzurühren.«
Dando stellte seinen Drink geduldig nieder und gab ein kurzes, scharfes, vielsagendes Lachen von sich. »Ich arbeite für Mweta, mein Junge.«
Bray kehrte sehr spät von Dando zum Hotel zurück; es war unmöglich, bei ihm einen Abend zu verbringen, ohne zuviel zu trinken, und er mußte mit äußerster Vorsicht fahren. Er sah ein Augenpaar, zwei Fuß über dem Straßenrand: ein kleiner, äsender Bock. Der kühle Geruch des schweren Taus war noch durch das Wagenfenster hindurch üppig.
Hjalmar Wentz war noch auf. Im stickigen Büro, das keinen direkten Zugang zu einem Fenster oder einer Tür hatte, sammelten sich die Gerüche, die seine Frau aus den allgemein zugänglichen Räumlichkeiten des Hotels gekehrt und gescheuert und verbannt hatte, in reglosen Schichten – Rauch, Insektenpulver,gekochter Blumenkohl, verschüttetes Bier. Hjalmars Kopf leuchtete unter der Lampe; wie immer war er umgeben von Rechnungen und Zeitungsausschnitten. Einmal hatte er Bray anvertraut: »Ich weiß von einem Flüchtling in London, dem es gelungen ist, von seinen Akten und Zeitungsausschnitten zu leben. Die Leute bezahlen dafür, sie einzusehen. Ein Professor von der Budapester Universität, mußte sechsundfünfzig das Land verlassen.«
In der Vertraulichkeit der nächtlichen Stunde sagte er zu Bray: »Neulich – hat Emmanuelle da etwas über mich gesagt? Margot hat sie mit Ihnen im Garten reden sehen.«
Bray log mit einem Zitat von Turgenjev. »›Mit einem Ehrenmann wird es so enden, daß er nicht mehr weiß, wo er leben soll‹ – mehr oder weniger lief es darauf hinaus.«
Ein Ausdruck scheuer, müder Freude strich wie eine Hand über sein Gesicht. »Mein Gott. Sie ist seltsam, meine Tochter. Aber wissen Sie, wer ihr das mit Ras Asahe erzählt hat? Stephen. Ihr Bruder.
Er
hat es Margot gebeichtet. Normalerweise kommt Emmanuelle mit ihm überhaupt nicht aus. Dieser schreckliche Gegensatz zwischen Bruder und Schwester. Thomas Mann hat sich in seinen Inzest-Geschichten nur mit der Kehrseite davon auseinandergesetzt …« Die Lüge war lebenspendend, und er hielt Bray davon ab, zu Bett zu gehen, während ihre Stimmen – wie eine Unterhaltung in den Träumen von Menschen, wie das geheimnisvolle Tun der Mäuse und die unermüdlichen Kiefer von Kakerlaken – durch die frühmorgendliche Totenstille des Hotels hallten.
In dieser Woche tagte das Parlament; für eine Sondersitzung hatte keine Notwendigkeit bestanden. Er besuchte es bei der zweiten Lesung des Gesetzes für
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