Der Ehrengast
die Vorbeugehaft. Für einen Mann seiner Größe war es schwierig, nicht aufzufallen; als er sich gebückt an der polierten Holzrückwand der logenartigen Sitzreihe entlangdrückte, die die Besuchergalerie von den Parlamentariern trennte, blickten mehrere Gesichter im Parkett erkennend zu ihm herüber. Die schöne Kammer, die mit Holz aus den Mso-Wälderngetäfelt war, das die Wasserzeichen der blassen Maserung trug, war vom Gemurmel erfüllt wie ein Schulzimmer. Es roch hier wie in einer Kirche. Ein oder zwei Mitglieder des Kabinetts waren in Togen gehüllt – Dr. Moses Phahle und Dhlamini Okoi, deren feine italienische Schuhe unter der Robe hervorsahen –, aber die meisten Parlamentsmitglieder trugen westliche Kleidung mit dem Wohlgefühl und der Sicherheit, die für Schwarze typisch ist. Roly Dandos schmales weißes Gesicht, das durch den dicken Rahmen der Brille und den Zahnbürstenschnurrbart vergittert und gezeichnet schien, wirkte wie ein Totem in ihrer Mitte.
Nach der plötzlichen Veränderung der Atmosphäre aus Sonnenlicht und Verkehr draußen im Freien kamen ihm diese Eindrücke wie das Kribbeln von Blut in einem eingeschlafenen Bein oder Arm zu Bewußtsein. Durch das Gemurmel hindurch drang die Stimme Kentes, des Innenministers, der einen Zettel mit der Tagesordnung in seiner Faust zusammendrückte. »… Welcher gewöhnliche, friedliebende Staatsbürger hat irgendwas zu befürchten? Was ist dieses ›Netz der Einschüchterung‹, von dem der ehrenwerte Abgeordnete von Inhame spricht? Woher bezieht er dieses Vokabular? Für uns hier, in diesem Haus, ist klar, daß es mit den Realitäten des Lebens in diesem Land nichts zu tun hat. Für uns ist es klar, daß das aus Übersee kommt, der ehrenwerte Abgeordnete hat zu viele Spionagegeschichten gelesen – dieses Haus ist kein Betätigungsfeld für James Bonds und Philbys …«
Ein Teil des Gelächters, das er wollte, bekam er, aber nicht viel; obwohl kaum einer dem Evangelium von James Bond entgangen war, hatten viele noch nie etwas von Philby gehört. Der Parlamentspräsident, der seitlich an seinen hohen Stuhl gelehnt dasaß, als drückte ihn das Gewicht seiner Ringellockenperücke nieder, wurde auf Cyrus Goma aufmerksam, der nun Abgeordneter für einen der nordöstlichen Wahlbezirke war und sich bereits halb aus seinem Stuhl erhoben hatte. Also hatte Goma die Toga übernommen; während er redete, brachte er eines ihrer Enden in Ordnung, wie eine alte Dame, die ihren Schal zurechtzieht, wobei er sein Kinn wie eine Dohle gegen eine der beiden Schulternvorstreckte – genauso, wie es Bray in Erinnerung hatte –, das Gesicht gespannt, die Augen nach oben verdreht, während seine Stimme leise und vernünftig blieb. »Wir haben akzeptiert, daß dieses Gesetz notwendig ist. Das ist das eine. Aber wir dürfen uns nicht erlauben zu denken, die Leute, die sich seinetwegen Sorgen machen, die seinetwegen schwerwiegende Bedenken haben, seien etwas, worüber man Witze machen dürfte. Ich möchte dem ehrenwerten Herrn Innenminister zu bedenken geben, daß diese Leute es aufrichtig meinen; man sollte sich über sie nicht lustig machen. Ein Gesetz zur Einführung der Vorbeugehaft ist nicht zum Lachen. Wir haben nicht gelacht, als die Briten uns eines aufzwangen.« Plötzlich war das Haus ganz Ohr. »Wir haben in den Lagern in Bashi nicht gelacht …« Jemand rief: »Ja, die Bashi!« »… und in Fort Howard.« Nur einen kurzen Augenblick lang hielt er inne – aber er war gerade lange genug. »Howard!« »Bashi!« »Howard!« Der Parlamentspräsident rief das Haus zur Ordnung. Cyrus Goma schwankte leicht hin und her und begann wieder zu sprechen, vernünftig, leise. »Unser Präsident hat nicht gelacht, als er siebzehn Monate dort eingesperrt war. Er litt, weil es für die Erringung unserer Freiheit notwendig war. Wenn wir akzeptieren müssen, daß es für uns jetzt notwendig ist, die Vorbeugehaft einzuführen, so ist das kein Anlaß für Gelächter.«
Es herrschte argwöhnisches Schweigen; für einen Moment. Ein prasselnder Applaus hart aufeinandergeschlagener Handflächen wurde, während er noch versuchte sich zu behaupten, von einer Art Temperaturanstieg im Haus erdrückt. Jemand sprang auf und rief: »Wenn Sie für Verräter Tränen vergießen wollen!« Die Versammelten schienen in einem Ausbruch von Feindseligkeit miteinander zu verschmelzen, eine knisternde, korporative Oberfläche, der Rücken eines riesigen Tieres, das auf Goma zuwogte. Aber aus der Richtung,
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