Der Ehrengast
Meinungsverschiedenheiten – wir respektieren sie beim anderen. Es sind die Meinungen von Familienmitgliedern. Sie tun der Tatsache keinen Abbruch, daß wir ein großes Ganzes sind …«
Cyrus Goma hielt seine Hand wie eine Scheuklappe seitlich an sein Gesicht, seine Augen Mweta zugekehrt, und auf dem Gesicht lag der Ausdruck eines Mannes, der unerreichbar ist. Dando sah gelangweilt aus. Bray machte sich vor den nachdrängenden Leuten davon, als das Parlament seine Sitzung über Mittag vertagte; nur die Journalisten eilten ihm voraus – ein schwarzer Mann in einer Schottenweste hatte schon eine der stromlinienförmigen Telefonzellen besetzt und brüllte in den Hörer. Der Präsident ruft zur Einheit auf; natürlich. Bray schritt langsam die blumengeschmückte Auffahrt zum Parkplatz für die Besucher hinunter und mußte stehenbleiben, weil er eine Sekunde lang nicht wußte, ob er sich nun vor einem Minijeep, der aus dem Parkplatz für Parlamentsabgeordnete herausbog, mit einem Sprung vorwärts oder zurück in Sicherheit bringen sollte. Der Fahrer war der riesige junge Mann, der die Frage über das Zentralkomitee aufgeworfen hatte. Als er bremste, schnellte er so hoch, daß er beinahe ans Leinendach schlug, und als er wieder herunterfiel, öffnete und schloß sich sein Gesicht zu einem Grinsen über das Mißgeschick der beiden Beinahe-Opfer, Bray und ihn selbst.
Bray war mit Neil Bayley zum Lunch verabredet. Ein Italiener, den es aus dem Kongo hier herunter verschlagen hatte, führte unmittelbar hinter den zentralafrikanischen Warenhäusern eine Pizzeria – sie war voll von jüngeren Weißen aus der Stadt; kein Schwarzer hätte sechs Shilling für ein kreisrundes Stück verkohlten Backteigs ausgegeben, auf das man Tomaten und Sardellen geschmiert hatte. Sobald die kleine weiße Bevölkerung die Pizza satt hätte, würde der Italiener einen Fish-and-Chips-Laden eröffnen müssen, wo dann die Schwarzen zu seinem Stammpublikum zählen würden. Aber jetzt war das Lokal offensichtlich etwas, wohin man in einer Stadt, die ansonsten nichts zu bieten hatte, ging; unter den Zöpfen aus Raffiazwiebeln und dem herausgeplärrten »Arrivederci Roma« saßen hübsche Sekretärinnen aus Ministerien, Botschaften und Konsulaten und Männer aus anderen Ministerien, Botschaften und Konsulaten (Konferenzensind wunderbare Gelegenheiten, um Frauen abzuschleppen, bemerkte Neil Bayley), die mit den Eröffnungszügen sexueller Annäherung, die sich leicht über einen Tisch hinweg bewerkstelligen ließen, beschäftigt waren. Wie alle anderen tranken Neil Bayley und Bray den Wein des Hauses aus Coca-Cola-Gläsern, und Bayleys großer Flußgottkopf mit dem gelockten roten Bart blickte zwischen seinen Ausbrüchen intensiver und lebhafter Konzentration auf das, was er gerade sagte, vergnügt durch den Raum. »Ja, ja, natürlich, Goma ist ein subtiler Schweinehund, und wenn er den Mund aufmacht, redet er nicht nur für sich selber, darauf kannst du dich verlassen. Was andere nicht sagen können, weil sie dem Kabinett angehören – das sagt unser Cyrus im Parlament.«
»Er hat sie immerhin so weit gebracht, daß sie sich vorstellten, sie wären wieder in Bashi und Fort Howard eingesperrt, diesmal von ihren eigenen Leuten … in einem einzigen Satz … und die Pause war genau kalkuliert … Und dann, bevor noch irgend jemand einen Finger auf das legen konnte, was er gesagt hatte, brachte er Mwetas siebzehn Monate aufs Tapet, das große Beispiel für Selbstaufopferung … ein Inbegriff von Loyalität.« Bray lachte bewundernd.
»Oh, er jagt dir das Messer zwischen die Rippen, und es sieht so aus, als klopft er dir auf die Schulter.«
»Es war ein sauberes Manöver. Sehenswert.«
Neil zeigte dem Raum, Kinn nach oben, sein gutaussehendes Profil, als er mit einem Wink mit der Karaffe Wein nachbestellte.
»Schmeckt ein bißchen metallisch, nicht wahr? Gereift in echten Ölfässern. – Oh, dieser Bursche hat noch ein langes Leben in der Politik vor sich.«
»Er hat schon ein langes hinter sich. Eine Zeitlang war er für die Organisation der Partei auf nationaler Ebene zuständig – als Shinza Generalsekretär war.«
»Ist das wahr? Das hab ich nicht gewußt, James. – Du bist ein wanderndes Archiv. Aber gegen Mweta können sie sich alle einpacken lassen.«
»Ja, das hat er gerade wieder gezeigt«, sagte Bray.
»Er hat dich überzeugt, daß er die Vorbeugehaft braucht«, sagte Bayley halb fragend, halb feststellend, das schöne, rosige
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