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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Familie. Immer, wenn ich an euch denke, fällt mir gleichzeitig Wasser ein.«
    Sie lächelte, während sie zu ihren Kindern hinsah. »Ihr neues Büro gefällt mir; ich seh Sie immer da sitzen, wenn ich vorbeifahre. Wie Buddha unter dem heiligen Feigenbaum der Inder. Aber ein herrlicher Platz zum Arbeiten. Im Vergleich zum
boma
zweifellos eine Verbesserung.«
    »Nun, Sie waren es, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, daß ich im
boma
überflüssig bin.«
    »
Ich?
Aber davon kann doch überhaupt nicht die Rede sein!«
    »Machen Sie sich deshalb bloß keine Sorgen – und ich bin jetzt dankbar. Großartig, mein Feigenbaum, was! Jetzt, wo’s kühler ist – der perfekte Aufenthaltsort.«
    Sie war leicht zu beunruhigen und leicht in Verlegenheit zu bringen. Das Blut wich aus ihrem Gesicht, nur die Helligkeit in den Augen blieb zurück. »Aber wann hab ich das denn gesagt?«
    »Oh, das macht doch nichts. Sie waren so freundlich und haben mir verziehen, daß ich so gedankenlos war und Sie nicht mitnahm, als Ihr Wagen in der Werkstatt war.«
    »Ach, das damals – aber Sie mißverstehen …«
    »Ja, das weiß ich, aber manchmal stößt man bloß durch einen Irrtum auf eine kleine Wahrheit.« Sie war wieder beruhigt, wenn auch ein wenig ratlos. Ein paar Augenblicke lang sagte keineretwas, sie ließen still die Morgensonne auf ihre Gesichter scheinen, wie es Leute in der Natur tun. »Wie ist es bei den Indern gegangen?«
    »Wir können die Gandhi-Halle haben – außer an Fest- oder Feiertagen. Ein faires Angebot.«
    »Ach,
das
ist gut.«
    Er sagte: »Arme Teufel. Was ist ihnen schon anderes übriggeblieben. Sie hoffen, daß es vielleicht hilft.«
    Sie schüttelte fragend den Kopf und zog die Brauen zusammen, so daß zwischen ihren Augen eine Falte entstand. »Selbstverständlich hilft das. Für Sie ist es ein Beginn.«
    »Daß es ihnen hilft. Sofern es eines Tages so aussieht, daß sich die Dinge zu ihren Ungunsten entwickeln.«
    »Aber es sieht doch nicht schlecht für sie aus. Kein Mensch hat was gesagt, oder?«
    Er sagte zu ihr: »Sie sehen, was sonst überall passiert ist. Kenia. Uganda. Wie es in anderen Gegenden gekracht hat. Überall haben sie sich aus den Freiheitsbewegungen der Schwarzen herausgehalten, weil sie sich mit dem Colonial Office gut stellen wollten, und haben gezögert, eine britische Staatsbürgerschaft abzulegen, die schließlich nicht einmal mehr das Papier wert war, auf dem man sie ihnen bestätigt hatte. Während meiner ersten Zeit hier haben sie sich geweigert, der hiesigen Parteistelle der PIP die Gandhi-Halle zur Verfügung zu stellen, und die hohen Herrschaften vom Islamischen Komitee haben sich nie die Gelegenheit entgehen lassen, mich von dieser Tatsache in Kenntnis zu setzen. Und nun wollen sie einen Haufen Schwarzer aus dem Busch dort einlassen, wo die noch nie einen Fuß hinsetzen durften – und dahinter steht die gleiche Art von Hoffnung, obwohl ihre Situation nicht genau das Gegenteil der früheren ist … denn jetzt gibt es keine alternative Kraft, jetzt haben sie nur noch die Wahl zwischen den Schwarzen oder gar nichts. Aber der Instinkt ist der gleiche. Der Instinkt, auf Nummer Sicher gehen zu wollen; warum stellt es sich schließlich immer als so gefährlich heraus, wenn jemand auf Nummer Sicher geht?«
    »Es bringt kein Glück.« Sie sagte es mit einer Überzeugung, wie sie Menschen nur für Aberglauben aufbringen.
    Er lachte. Sie aber sagte fest – es war, als hätte sie Handlinien gelesen: »Nein, ich meine das wirklich. Es bringt kein Glück, weil man zuviel Angst hat, um eine Chance nützen zu können.«
    »Es bringt Unglück, wenn man keinen Mut hat?«
    »Genau das ist’s. Man muß auf das, was auf einen zukommt, einfach losmarschieren, sich darauf verlassen, daß man Glück haben wird. Denn wenn man auf Nummer Sicher geht, hat man’s auf keinen Fall.«
    »Dann ist es verspielt?«
    »Ja.«
    »Nun, was die Inder angeht, haben Sie recht … welche Motive auch immer hinter ihrem Entschluß gesteckt haben, uns die Gandhi-Halle zu überlassen – wenn sich die Dinge ungünstig für sie entwickeln sollten, dann fällt es nicht ins Gewicht, ob sie sich nun dazu entschlossen haben oder nicht.«
    Er las von ihrem Gesicht ab, daß sie plötzlich an seine Beziehung zu Mweta dachte; dieses Aha-Erlebnis, das ihn immer wieder bestürzte, weil es ihn mit einer Pseudobedeutung ausstattete. »Weshalb sagen Sie, wenn sich die Dinge ungünstig entwickeln sollten?«
    Der Klang seiner Stimme

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